Bockmist
gefragt, wie er es geschafft habe, so schonungslos die Möglichkeit auszuräumen, daß der Mord das Werk von Passivisten sei; ich hätte ihn auch ohne weiteres fragen können, denn während wir versuchten, der Invasion der Deutschen standzuhalten, ging Tom in einem Lichtkegel gleißender Wolframscheinwerfer keine zweihundert Meter von uns entfernt seinen Pflichten nach. Vor zwanzig Minuten erst hatte ich zugesehen, wie ein CNN-Techniker ihm ein drahtloses Mikrofon an die Krawatte stecken wollte, und Tom hatte mit der Bemerkung abgewinkt, das mache er selbst, weil er sich den Sitz des Krawattenknotens nicht verderben lassen wolle.
Der Bekenneranruf sollte um zehn Uhr Ortszeit erfolgen. Wenn Cyrus seine Arbeit getan hatte und der Anruf wie geplant durchgekommen war, dann ließ man sich bei CNN Zeit mit der Überprüfung. Das heißt, wenn Toms Stab aus demselben Holz geschnitzt war wie er, dann ließ man sich eher Zeit für die Lektüre. Francisco hatte darauf bestanden, das Wort »Hegemonie« zu benutzen, und das hatte sie wahrscheinlich erstmal aus den Pantinen gekippt.
Um fünf vor halb zwölf gingen sie damit endlich auf Sendung, Doug Rose, der Nachrichtensprecher von CNN, trug den Text langsam und deutlich vor, mit einem saftigen Beigeschmack von »Herrgott, diese Burschen machen mich ganz krank«.
Das Schwert der Gerechtigkeit.
Mami, schnell, komm her. Wir sind im Fernsehen. Der Mann spricht über uns.
Ich glaube, hätte ich gewollt, dann hätte ich in jener Nacht mit Latifa schlafen können.
Die weitere CNN-Berichterstattung bestand vorwiegend aus Archivmaterial über Terrorismus im Wandel der Zeiten und beanspruchte das Gedächtnis der Zuschauer bis an die Grenze seiner Belastbarkeit, als man an das Sprengstoffattentat baskischer Separatisten auf ein Regierungsgebäude in Barcelona Anfang vergangener Woche erinnerte.
Ein bärtiger Mann trat auf und wollte sein Buch über Fanatismus unter die Leute bringen, und dann stand wieder das wichtigste Thema von CNN auf dem Programm: den Zuschauern von CNN klarzumachen, daß sie in Wahrheit CNN sehen sollen. Vorzugsweise in einem anderen schicken Hotel als dem, in dem sie gerade abgestiegen sind.
Ich lag allein auf meinem Bett im Eiger, die eine Hand versorgte mich mit Whisky, die andere mit Nikotin, und fragte mich, was einem wohl zustieß, wenn man in dem schicken Hotel wohnte, für das sie warben, während sie dafür warben. War man dann gestorben? Oder in ein Paralleluniversum versetzt worden? Oder lief die Zeit dann rückwärts?
Ich wurde zunehmend betrunken, wissen Sie, deswegen hörte ich das Klopfen nicht gleich. Oder wenn ich es gleich hörte, dann wollte ich es nicht hören, und so klopfte es zehn Minuten oder auch zehn Stunden, bis sich mein Gehirn aus seiner CNN-Apathie aufraffte. Ich schwang mich vom Bett.
»Wer ist da?«
Schweigen.
Ich hatte keine Waffe, wollte auch keine benutzen, also öffnete ich die Tür und streckte den Kopf hinaus. Que sera, sera.
Ein sehr kleiner Mann stand im Korridor. Klein genug, um einen Menschen von meiner Größe inständig zu hassen.
»Herr Balfour?«
Einen Augenblick lang übermannte mich vollkommene Orientierungslosigkeit. Diese Orientierungslosigkeit ist bei Undercover-Agenten gar nicht so selten – immer mehr Tassen fehlen im Schrank, man überblickt nicht mehr, wer man sein soll, wer man wirklich ist, ob Linkshänder oder Rechtshänder, und wie Türklinken funktionieren. Das Whiskytrinken, habe ich festgestellt, steigert die Häufigkeit solcher Augenblicke.
Ich merkte, daß er mich anstarrte, also schützte ich einen Hustenanfall vor, während ich mich sammelte. Balfour, ja oder nein? Ich benutzte den Namen Balfour, aber bei wem bloß? Für Solomon war ich Lang, für Francisco Ricky, für die meisten Amerikaner Durrell, und Balfour … heureka! Balfour war ich im Hotel; und wenn man so wollte, und ich bezweifelte nicht, daß man so wollte, war ich Balfour auch für die Polizei.
Ich nickte.
»Kommen Sie bitte mit.«
Er machte auf dem Absatz kehrt und marschierte den Korridor hinab. Ich schnappte mir Jacke und Zimmerschlüssel und folgte ihm, denn Herr Balfour war ein guter Bürger, der sich an jedes erdenkliche Gesetz hielt und das auch von anderen erwartete. Auf dem Weg zum Fahrstuhl warf ich einen Blick auf die Schuhe meines Begleiters und sah, daß er Plateausohlen trug. Er war wirklich sehr klein.
Draußen schneite es (zugegeben, es schneit meistens draußen, aber vergessen Sie nicht,
Weitere Kostenlose Bücher