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Bockmist

Bockmist

Titel: Bockmist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Hugh
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unwägbar und letztlich nichtssagend. Nein, darauf muß ich noch mal zurückkommen, wenn’s Ihnen nichts ausmacht.
    Wie war’s mit Mitleid? Ich habe Mitleid mit Sarah Woolf, weil … weil was? Sie hat ihren Bruder verloren, dann ihren Vater, und jetzt schmachtet sie im finsteren Turm, weil ihr Märchenprinz den Aufbau der Trittleiter nicht gebacken bekommt. Wahrscheinlich mußte ich sie dafür bemitleiden: daß sie keinen besseren Retter als mich abbekommen hatte.
    Freundschaft? Verdammt, ich kenn’ die Frau doch kaum.
    Ja, was war es denn dann?
    »Ich liebe sie«, sagte jemand und ich erkannte meine Stimme.
    Solomon schloß kurz die Augen, als wäre das schon wieder die falsche Antwort, dann ging er langsam und zögernd zu einem Tisch an der Wand und griff nach einer Plastikbüchse. Er wog sie kurz in der Hand, als überlegte er, ob er sie mir geben oder nicht lieber in den Schnee hinauswerfen sollte, und dann fing er an, seine Taschen zu durchwühlen. Das Gesuchte steckte prompt in der Tasche, in der er als letztes nachsah, und ich freute mich, daß das auch mal jemand anderem passierte. Er zog eine Taschenlampe heraus, reichte sie mir mitsamt der Büchse, wandte sich ab und überließ mir diskret alles Weitere.
    Nun, ich öffnete die Büchse. Natürlich. Das macht man nun mal so, wenn einem eine geschlossene Büchse in die Hand gedrückt wird. Man öffnet sie. Ich hob also im wörtlichen wie im übertragenen Sinn den gelben Plastikdeckel ab, und sofort wurde mir das Herz noch ein bißchen schwerer.
    Die Büchse war voller Dias, und mir war auf Anhieb klar, daß sie mir gar nicht gefallen würden.
    Ich nahm das erste heraus und hielt es vor die Taschenlampe.
    Sarah Woolf. Gar keine Frage.
    Ein sonniger Tag, ein schwarzes Kleid, sie stieg aus einem Londoner Taxi. Gut. Alles in Butter. Nichts gegen zu sagen. Sie lächelte – glücklich und über das ganze Gesicht –, aber das ist ja nicht verboten. Das geht schon in Ordnung. Ich erwartete ja nicht, daß sie rund um die Uhr in ihre Spitzenkissen schluchzte. Also. Weiter.
    Bezahlt den Fahrer. Auch dagegen war nichts einzuwenden.
    Man fährt Taxi und muß beim Fahrer bezahlen. So ist das Leben. Das Bild war mit Tele aufgenommen worden, mindestens einem 135-mm-Objektiv, wenn nicht mehr. Und die Dias waren in so schneller Abfolge geschossen worden, daß die Kamera einen Motor haben mußte. Aber wer machte sich denn die Mühe …
    Auf dem nächsten Dia wendet sie sich vom Taxi zum Bordstein. Lachend. Der Fahrer betrachtet ihren Hintern, was ich an seiner Stelle auch getan hätte. Sie hat seinen Hals betrachtet, er betrachtet ihren Hintern. Ein fairer Tausch. Na gut, vielleicht nicht ganz fair, aber nichts in der Welt ist vollkommen.
    Ich sah Solomons Rücken und seinen gesenkten Kopf an.
    Das nächste bitte.
    Ein Männerarm. Arm und Schulter, genauer gesagt, in einem dunkelgrauen Anzug. Der Arm will ihre Taille umfangen, und sie legt den Kopf in den Nacken, um einen Kuß zu empfangen. Das Lächeln ist noch seliger geworden. Aber wen schert das? Wir sind doch keine Puritaner. Eine Frau kann mit einem Mann essen gehen, höflich sein, kann sich über das Wiedersehen freuen – deswegen muß man doch in drei Teufels Namen nicht gleich die Polizei rufen.
    Jetzt liegen sie sich in den Armen. Sie sieht in Richtung Kamera, sein Gesicht ist daher verdeckt, aber sie umarmen sich zweifellos. Eine ordentliche, ausgewachsene Umarmung. Also ist er vermutlich nicht der Filialleiter ihrer Bank. Na und?
    Das nächste Dia zeigt fast dasselbe Motiv, aber sie drehen sich langsam. Sein Kopf löst sich von ihrem Nacken.
    Jetzt kommen sie auf den Betrachter zu, immer noch Arm in Arm. Sein Gesicht ist nicht zu erkennen, weil gerade ein Passant die Kamera passiert und das Bild verschwommen ist. Aber ihr Gesicht. Was ist das für ein Gesichtsausdruck? Himmel? Wonne? Frohsinn? Verzückung? Oder nur Höflichkeit? Nächstes und letztes Dia.
    Hoppla, dachte ich. Das also war des Pudels Kern.
    »Hoppla«, sagte ich. »Das also war des Pudels Kern.«
    Solomon zeigte keine Reaktion.
    Ein Mann und eine Frau kommen dem Betrachter entgegen, und ich kenne alle beide. Ich habe gerade zugegeben, daß ich die Frau liebe, obwohl ich nicht hundertprozentig sicher bin, daß das stimmt, ich gerate sogar immer mehr ins Schwanken, aber der Mann … tja, dieser Mann.
    Er ist groß. Er ist attraktiv, wenn auch etwas verwittert. Er trägt einen teuren Anzug. Und er lächelt ebenfalls. Beide lächeln. Im Großformat.

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