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Bockmist

Bockmist

Titel: Bockmist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Hugh
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daß ich mit der Ausnüchterung gerade erst begonnen hatte), riesige weiße Scheiben sanken sanft zu Boden wie die Trümmer einer himmlischen Kissenschlacht, bedeckten alles, dämpften alles und sorgten dafür, daß alles nicht mehr so wichtig war.
    Wir liefen etwa zehn Minuten; machte ich einen Schritt, machte er sieben, bis wir eine Hütte am Dorfrand erreichten. Sie war aus Holz, hatte nur ein Stockwerk und mochte uralt sein oder auch nicht. Ihre Fensterläden klapperten, und die Spuren im Schnee verrieten, daß in letzter Zeit viele Besucher hier vorbeigekommen waren. Vielleicht war es auch nur ein einziger, sehr vergeßlicher Besucher.
    Es war eine seltsame Erfahrung, diese Hütte zu betreten, und sie hätte kaum an Seltsamkeit verloren, wenn ich nüchtern gewesen wäre. Ich hatte den Eindruck, ich hätte etwas mitbringen sollen; mindestens Gold oder Weihrauch. Wegen der Myrrhe machte ich mir weniger Vorwürfe, weil ich nie geschnallt habe, was das ist.
    Der sehr kleine Mann blieb vor einer Seitentür stehen, sah mich über die Schulter hinweg an und klopfte dann. Nach geraumer Zeit wurde ein Riegel zurückgeschoben, dann noch einer, und nach zwei weiteren schwang die Tür endlich auf. Eine grauhaarige Frau musterte den sehr kleinen Mann einen Augenblick lang, musterte mich drei Augenblicke lang, nickte, trat beiseite und ließ uns vorbei.
     
    Dirk van der Hoeve saß auf dem einzigen Stuhl im Zimmer und putzte seine Brille. Er trug einen dicken Mantel, hatte einen Schal um den Hals geschlungen, und seine fetten Füße quollen über die Schuhränder. Er trug teure schwarze Halbschuhe mit Lederschnürsenkeln. Das fiel mir nur auf, weil er selbst sie so kritisch beäugte.
    »Herr Minister, das ist Thomas Lang«, sagte Solomon, trat aus dem Dunkel und betrachtete mich mehr als Dirk.
    Dirk putzte geruhsam die Brille zu Ende und sah auf den Boden, während er sie schließlich behutsam aufsetzte. Endlich hob er den Kopf und sah mich an. Unfreundlich. Er atmete durch den Mund wie ein Kind, dem der Broccoli zu heiß ist.
    »Angenehm«, sagte ich und streckte ihm die Hand hin.
    Dirk sah Solomon an, als hätte ihn niemand gewarnt, daß er mich auch anfassen müsse, dann reichte er mir widerwillig ein schlaffes nasses Etwas mit Fingern dran.
    Wir starrten uns eine Zeitlang an.
    »Kann ich jetzt gehen?«, fragte er dann.
    Solomon zögerte einen Moment, traurig, als hätte er gehofft, wir könnten noch beisammenbleiben und eine Partie Whist spielen.
    »Selbstverständlich, Sir«, sagte er.
    Erst als Dirk aufstand, sah ich, daß er zwar fett war – Menschenskind, und wie fett –, aber beileibe nicht so fett wie bei seiner Ankunft in Murren.
     
    Das haben kugelsichere Westen so an sich, wissen Sie. Sie sind eine wunderbare Erfindung und erfüllen alle Hoffnungen in puncto Lebenserhaltung. Aber schmeichelhaft sind sie nicht. Für die Figur, meine ich. Unter einem Skianzug getragen, sieht ein leicht übergewichtiger Mensch darin sehr fett aus, und ein Mann wie Dirk wirkt wie ein Sperrballon.
    Ich hatte nicht den geringsten Anhaltspunkt, was sie mit ihm ausbaldowert hatten. Oder von mir aus mit der Regierung der Niederlande. Mir sagte ja nie einer was. Vielleicht stand ihm gerade ein Urlaubsjahr zu, oder er sollte pensioniert oder gefeuert werden – vielleicht hatte man ihn auch mit einem Dutzend minderjähriger Mädchen im Bett erwischt. Oder aber man hatte ihm einfach eine Menge Geld gegeben. Ich hab’ mir sagen lassen, daß das bei manchen Leuten Wunder wirkt.
    Egal, wie es angezettelt worden war, Dirk mußte etliche Monate von der Bildfläche verschwinden, sich selbst und mir zuliebe. Wenn er nächste Woche auf einem Gipfeltreffen aufkreuzte und ein flexibles Wechselkurssystem für die Staaten Nordeuropas forderte, mußte das einen merkwürdigen Eindruck machen, und die Leute würden sich wundern. Selbst CNN konnte dem nachgehen.
    Dirk ging ohne jede Ausrede. Die Grauhaarige quetschte seine Massen durch die Tür, und er verschwand mit dem sehr kleinen Mann in der Nacht.
     
    »Wie fühlt Ihr Euch, Sir?«
    Jetzt saß ich auf dem Stuhl, die Manöverkritik war abgehakt, Solomon ging gemessenen Schritts um mich herum und begutachtete meinen Kampfgeist, mein Rückgrat und meinen Rausch. Er hatte einen Finger an die Lippen gelegt und tat so, als wäre ich gar nicht da.
    »Danke, gut, David. Und du?«
    »Erleichtert, Master. Würde ich sagen. Ja. Auf jeden Fall erleichtert.« Pause. Er dachte weit mehr, als er redete.

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