Bockmist
Mr Roger Buchanan, dem Handelsattaché, einstellen. Um neun Uhr siebenundvierzig werden Francisco und Hugo auf einer Sackkarre vier Plastikfässer Mineralwasser zustellen, deren Lieferschein auf Sylvie Horvath vom konsularischen Dienst ausgestellt ist.
Das Wasser hat Sylvie tatsächlich bestellt – die sechs Pappkartons, auf denen die Fässer ruhen, allerdings nicht.
Und um neun Uhr fünfundfünfzig plusminus ein paar Sekunden werden Cyrus und Benjamin mit dem Landrover gegen die Westmauer des Konsulats krachen.
»Warum das?«, fragte Solomon.
»Warum was?«, fragte ich.
»Der Unfall mit dem Landrover.« Er nahm den Bleistift aus dem Mund und deutete auf die Zeichnungen. »So kommt Ihr keinesfalls durch die Mauer. Sie besteht aus sechzig Zentimeter dickem armiertem Beton, und überdies habt Ihr entlang der ganzen Mauer noch diese Poller. Selbst wenn Ihr die schaffen solltet, ist die Wucht danach raus.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Reines Ablenkungsmanöver«, sagte ich. »Sie schlagen Krach, blockieren die Hupe, Benjamin fällt mit über und über blutbeschmiertem Hemd vom Fahrersitz, und Cyrus schreit nach einem Arzt. Wir wollen möglichst viele Schaulustige an die Westseite des Konsulats locken.«
»Gibt’s im Konsulat Verbandszeug?«, fragte Solomon.
»Im Erdgeschoß. Lagerraum neben dem Treppenhaus.«
»Ausgebildete Sanitäter?«
»Das gesamte amerikanische Personal hat Erste-Hilfe-Kurse absolviert, aber in diesem Fall kommt am ehesten Jack in Frage.«
»Jack?«
»Webber«, sagte ich. »Konsulatsgarde. Achtzehn Jahre beim US Marine Corps. Trägt eine 9-mm-Dienstberetta an der rechten Hüfte.«
Ich zögerte, weil ich wußte, woran Solomon dachte.
»Und?«, fragte er.
»Latifa hat CS-Gas dabei«, sagte ich.
Er notierte sich etwas – aber langsam und im Bewußtsein, daß sein Vermerk auch nicht viel helfen würde.
Ich wußte das auch.
»Und eine Micro-Uzi in der Umhängetasche«, sagte ich.
Wir saßen in Solomons Miet-Peugeot, der auf einer Anhöhe bei La Squala parkte – ein zerbröckelndes Gebäude aus dem achtzehnten Jahrhundert, das früher die wichtigste Artilleriestellung der Stadt beherbergt hatte. Von hier oben ließ sich der gesamte Hafen unter Beschuß nehmen.
Vor uns erstreckte sich das schönste Panorama von ganz Casablanca, aber im Moment hatten wir kein Auge dafür.
»Und was passiert jetzt?«, fragte ich und zündete mir mit Solomons Armaturenbrett eine Zigarette an. Ganz recht, denn der größte Teil des Armaturenbretts ging mit ab, nachdem ich am Zigarettenanzünder gezogen hatte, und ich brauchte eine Weile, um das Ganze wieder zu reparieren. Dann inhalierte ich und versuchte ziemlich vergebens, den Rauch durchs offene Fenster zu blasen.
Solomon starrte weiterhin seine Notizen an.
»Also ich nehme an«, soufflierte ich, »daß sich eine Brigade von marokkanischen Polizisten und CIA-Leuten in den Lüftungsschächten versteckt. Ich nehme auch an, sobald wir zur Attacke blasen, springen sie heraus und nehmen uns fest. Ich nehme außerdem an, daß das Schwert der Gerechtigkeit sowie jedermann, der in letzter Zeit Umgang mit seinen Mitgliedern gepflegt hat, demnächst vor einem Gericht ganz in der Nähe dieses Kinos erscheinen wird. Ich nehme schließlich an, all dies wird geschehen, ohne daß sich auch nur ein Mensch den Ellbogen aufschürft.«
Solomon holte tief Luft und atmete langsam aus. Dann begann er, sich den Bauch zu reiben, was ich seit zehn Jahren nicht mehr bei ihm gesehen hatte. Sein Zwölffingerdarmgeschwür war das einzige, was ihn von der Arbeit abhalten konnte.
Er drehte sich zu mir und sah mich an.
»Man schickt mich nach Hause«, sagte er.
Wir starrten uns einige Zeit an. Dann fing ich an zu lachen. Die Situation hatte eigentlich nichts Komisches – das Lachen drang mir rein zufällig aus dem Mund.
»Natürlich«, sagte ich schließlich, »natürlich wirst du nach Hause geschickt. Das paßt doch bestens ins Bild.«
»Paß auf, Thomas«, sagte er, und ich sah ihm deutlich an, wie sehr er diesen Moment haßte.
»›Danke für Ihre hervorragende Mitarbeit, Mr Solomon‹«, sagte ich mit meiner besten Russell-Barnes-Stimme. »›Wir sind Ihnen für Ihren Professionalismus und Ihr Engagement zu Dank verpflichtet, aber wir übernehmen jetzt, wenn’s recht ist.‹ Besser hätte es gar nicht kommen können.«
»Thomas, jetzt hör mir doch mal zu.« Er hatte mich in dreißig Sekunden zweimal geduzt. »Verdrück dich einfach. Renn um dein Leben,
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