Bockmist
und Farben und den verschiedensten Uniformen, die auf die verschiedensten Mächte und Autoritäten hinwiesen. Aber letztlich lief alles darauf hinaus, daß man sie bloß schief anzuschauen brauchte, und schon hauten sie einen nachhaltig in die Pfanne.
Vor jedem einzelnen Polizeirevier in Casablanca standen beispielsweise zwei Männer mit Maschinenpistolen.
Zwei Männer. Maschinenpistolen. Warum?
Man konnte sich hinstellen und sie rund um die Uhr beobachten. Sie fingen deutlich sichtbar keinen einzigen Verbrecher, schlugen keinen einzigen Aufstand nieder, wehrten keine einzige Invasion des feindlichen Auslands ab – kurz, sie taten nichts, was dem Durchschnittsmarokkaner das Leben erleichtert hätte.
Egal, wer soviel Geld für diese Männer verballert hatte – er hatte unter anderem verfügt, ihre Uniformen von einem Mailänder Couturier entwerfen zu lassen, und alle Sonnenbrillen mußten vollverspiegelt sein –, er hätte wahrscheinlich gesagt: »Was wollen Sie denn? Natürlich hat uns das feindliche Ausland nicht angegriffen, wir haben ja auch vor jedem Polizeirevier zwei Männer mit Maschinenpistolen und Hemden stehen, die ihnen zwei Nummern zu klein sind.« Und da konnte man nur noch dienern und rückwärts das Büro verlassen, denn gegen eine solche Logik kommt man nicht an.
In Marokko ist die Polizei ein besonderes Kennzeichen des Staates. Sie müssen sich den Staat als Hünen in einer Kneipe vorstellen und die marokkanische Bevölkerung als ein schmächtiges Männchen. Der Hüne entblößt einen tätowierten Bizeps und fragt das Männchen: »Hast du mein Bier verschüttet?«
Die marokkanische Polizei ist die Tätowierung.
Und für uns waren sie eindeutig ein Problem. Zu viele Markennamen, zu viele von jeder Marke, zu schwer bewaffnet, zu … was weiß ich.
Vielleicht waren wir deshalb so angespannt. Vielleicht hatte mich Benjamin – Benjamin mit der sanften Stimme, der Schachliebhaber, der in grauer Vorzeit Rabbi werden wollte –, vielleicht hatte mich Benjamin vor fünf Tagen deshalb ein gottverfluchtes Arschloch genannt.
Wir saßen am Tapeziertisch im Speisesaal, löffelten eine Tajine, die Cyrus und Latifa gekocht hatten, und niemandem war groß nach Konversation zumute. Die Hellen hatten im Lauf des Tages die Konsulatsfassade in Originalgröße nachgebaut, und jetzt waren wir müde und stanken nach Holz. Das Modell stand hinter uns wie die Kulisse einer Laienspielschar, und gelegentlich sah jemand vom Essen hoch, warf einen Blick darauf und fragte sich, ob er wohl je das Original zu Gesicht bekäme, und wenn ja, ob er danach noch je etwas anderes zu Gesicht bekäme.
»Du bist ein gottverfluchtes Arschloch«, sagte Benjamin, sprang auf und stand da, ballte und lockerte abwechselnd die Fäuste.
Pause. Es dauerte einige Zeit, bis alle gemerkt hatten, wen er dabei ansah.
»Wie hast du mich genannt?«, fragte Ricky und richtete sich etwas auf – ein Mann, der seinen Zorn lange im Zaum hielt, aber wehe, wenn er losgelassen!
»Du hast mich schon verstanden«, sagte Benjamin.
Einen Augenblick lang wußte ich nicht, ob er zuschlagen oder in Tränen ausbrechen würde.
Ich sah Francisco in der Erwartung an, er würde Benjamin auffordern, sich hinzusetzen oder zu verschwinden oder sonstwas, aber Francisco beobachtete mich bloß und aß weiter.
»Scheiße, Mann, hab’ ich dir was getan, oder was?«, fragte Ricky und drehte sich wieder zu Benjamin.
Aber der stand einfach nur da, funkelte mich an und ballte die Fäuste, bis Hugo die unbehagliche Stille brach und die Tajine lobte. Alle stimmten erleichtert zu und meinten, ja, die sei ganz phantastisch, und nein, die sei keine Spur versalzen. Alle bis auf Benjamin und mich, wohlgemerkt. Wir starrten uns unverwandt an, und anscheinend wußte nur er, was der ganze Zirkus sollte.
Dann kehrte er uns abrupt den Rücken und stürzte aus dem Saal. Kurz darauf hörten wir, wie das Stahltor dröhnend aufgeschoben wurde und der Landrover zum Leben erwachte.
Francisco fixierte mich die ganze Zeit.
Das ist fünf Tage her, Benjamin hat es ein paarmal über sich gebracht, mich anzulächeln, und jetzt sitzen wir alle in den Startlöchern.
Wir haben das Modell zerlegt, die Koffer gepackt, alle Brücken hinter uns abgebrochen und unsere Gebete gesprochen. Es ist richtig aufregend.
Morgen früh um neun Uhr fünfunddreißig wird sich Latifa im amerikanischen Konsulat um ein Visum bemühen. Um neun Uhr vierzig werden Bernhard und ich uns zu einem Termin bei
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