Bockmist
Lang, Sie waren ein winzig kleiner Teil davon. Zu klein – tut mir leid, wenn ich das so drastisch sagen muß –, zu klein, um überhaupt zu wissen, wovon Sie ein Teil waren.«
»Ganz wie Sie meinen«, sagte ich.
»Jetzt raten Sie doch mal, was die wichtigste Ware auf der ganzen Welt ist. So wichtig, daß die Produktion und der Verkauf aller anderen Waren davon abhängen. Öl, Gold, Nahrungsmittel, na, was meinen Sie?«
»Ich habe das dumpfe Gefühl«, sagte ich, »daß Sie auf Waffen hinauswollen.«
Woolf lehnte sich über den Tisch, zu schnell und zu nah für meinen Geschmack.
»Richtig, Mr Lang«, sagte er. »Es ist die größte Industrie der Welt, und jede Regierung der Welt weiß das. Wenn Sie ein Politiker sind und sich mit der Waffenindustrie anlegen, egal in welcher Form, dann wachen Sie am nächsten Morgen auf und sind kein Politiker mehr. Manchmal wachen Sie am nächsten Morgen auch gar nicht mehr auf. Es spielt keine Rolle, ob Sie im Staat Idaho ein Gesetz durchbringen wollen, alle Schußwaffen registrieren zu lassen, oder ob Sie versuchen, den Verkauf der F-16 an die irakische Luftwaffe zu stoppen. Sie treten denen auf die Hühneraugen, und die zertreten Ihnen den Kopf. Punkt.«
Woolf lehnte sich zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Mr Woolf«, sagte ich, »ich weiß, daß England Ihnen sehr fremdartig vorkommen muß. Ich weiß, daß wir auf Sie den Eindruck einer Nation von Hinterwäldlern machen, die erst am Tag vor Ihrer Landung das Geheimnis des fließend warmen und kalten Wassers entdeckt haben, aber trotzdem muß ich Ihnen mitteilen, daß vieles von dem, was Sie da sagen, mir nicht ganz unbekannt ist.«
»Hören Sie einfach zu, ja?«, sagte Sarah scharf, und ich fuhr zusammen. Als ich sie ansah, starrte sie bloß zurück und preßte die Lippen zusammen.
»Haben Sie schon mal was von Stoltois Bluff gehört?« fragte Woolf.
Ich drehte mich zu ihm zurück.
»Stoltois … nein, ich glaube nicht.«
»Macht nichts«, sagte er. »Anatoly Stoltoi war General der Roten Armee. Stabschef unter Chruschtschow. Versuchte seine gesamte Karriere lang, die USA glauben zu machen, die Russen hätten dreißigmal so viele Raketen, wie sie in Wirklichkeit hatten. Das war sein Beruf. Sein Lebenswerk.«
»Hat ja auch funktioniert, oder?«
»Wir waren zufrieden, ja.«
»Und ›wir‹ waren …?«
»Das Pentagon wußte, daß es von A bis Z geflunkert war. Das war bekannt. Aber das hinderte die Amerikaner nicht daran, diesen Bluff als Rechtfertigung für die größte Aufrüstung aller Zeiten zu benutzen.«
Vielleicht lag es am Wein, aber ich hatte den Eindruck, nur äußerst langsam zu kapieren, worauf er eigentlich hinauswollte.
»Klar«, sagte ich. »Na, dann woll’n wir mal was dagegen unternehmen, was? Wo ist denn bloß meine Zeitmaschine abgeblieben? Ach natürlich, nächsten Mittwoch.«
Sarah fauchte etwas und wandte sich vom Tisch ab.
Vielleicht hatte sie recht – vielleicht war ich sarkastisch –, aber mein lieber Schwan, wohin führte das denn bloß?
Woolf schloß einen Augenblick die Augen und übte sich in Geduld.
»Was braucht die Waffenindustrie Ihrer Meinung nach mehr als alles andere?«, fragte er schleppend.
Ich kratzte mich pflichtschuldig am Kopf. »Kunden?«
»Krieg«, sagte er. »Konflikte. Auseinandersetzungen.«
Rette sich wer kann, dachte ich. Jetzt kommt die große Theorie.
»Verstehe«, sagte ich. »Sie wollen mir verklaren, daß die Waffenindustrie den Golfkrieg angefangen hat.« Ehrlich, höflicher ging’s nun wirklich nicht.
Woolf antwortete nicht. Er saß einfach nur da, hatte den Kopf leicht auf die Seite gelegt, sah mich an und fragte sich, ob er womöglich doch an den Falschen geraten sei. Für mich stand das sowieso außer Frage.
»Nein, Scherz beiseite«, sagte ich. »Wollen Sie darauf hinaus? Ich möchte wirklich bloß wissen, was Sie denken. Ich will wissen, was die ganze Chose eigentlich soll.«
»Sie haben vermutlich die Fernsehreportagen gesehen«, sagte Sarah, während Woolf mich bloß weiter anstarrte. »Selbstlenkgranaten, Patriot-Raketensysteme, den ganzen Kram.«
»Ja, hab’ ich«, sagte ich.
»Bei Waffenmessen auf dem ganzen Globus, Thomas, zeigen die Hersteller dieser Waffen solche Berichte in ihren Werbevideos. Menschen sterben, und sie benutzen das Zeug für Werbespots. Es ist einfach obszön.«
»Genau«, sagte ich. »Ganz Ihrer Meinung. Die Welt ist ein einziger Saustall, und wir würden alle viel lieber auf dem Saturn
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