Bockmist

Titel: Bockmist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Hugh

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warum. Vielleicht hatten sie gedacht, allein die Darlegung der Theorie würde mich überzeugen – sobald ich sie vernommen hätte, würde ich aufspringen, das Buttermesser schleifen und »Tod allen Waffenschmieden!« schreien –, aber mir reichte das vorn und hinten nicht. Wie denn auch?
    »Halten Sie sich für einen guten Menschen, Thomas?«
    Das kam von Woolf, aber er sah mich noch immer nicht an.
    »Nein«, sagte ich.
    Sarah sah hoch.
    »Was dann?«
    »Ich halte mich für einen langen Menschen«, sagte ich. »Für einen armen Menschen. Einen pappsatten Menschen. Einen Menschen mit einem Motorrad.« Ich stockte und spürte ihren Blick. »Ich weiß nicht, was Sie unter ›gut‹ verstehen.«
    »So etwas wie auf Seiten der Engel«, sagte Woolf.
    »Es gibt keine Engel«, sagte ich schnell. »Tut mir leid, aber es gibt keine.«
    Im darauf folgenden Schweigen nickte Woolf bedächtig, als müsse er konzedieren, ja, diese Anschauung lasse sich vertreten, es sei nur leider eine so schrecklich enttäuschende Anschauung. Dann seufzte Sarah und erhob sich.
    »Entschuldigt mich«, sagte sie.
    Woolf und ich grabschten nach unseren Sessellehnen, aber sie hatte schon das halbe Restaurant hinter sich, bevor wir auch nur annähernd standen. Sie ging zu einem Ober, holte flüsternd Erkundigungen ein, dankte ihm mit einem Nicken für die Auskunft und ging auf einen überwölbten Ausgang am Ende des Saals zu.
    »Thomas«, sagte Woolf, »ich will’s mal so sagen. Es gibt böse Menschen, die drauf und dran sind, böse Dinge zu tun. Wir können sie aufhalten. Wollen Sie uns helfen?« Er hielt inne. Immer inniger.
    »Hören Sie, Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet«, sagte ich. »Was haben Sie eigentlich vor? Sagen Sie mir das klipp und klar. Was spricht gegen die Presse? Oder die Polizei? Oder die CIA? Warum suchen wir uns nicht ein Telefonbuch und etwas Kleingeld und bringen die Sache im Handumdrehen hinter uns?«
    Woolf schüttelte gereizt den Kopf und trommelte mit den Fingern auf den Tisch.
    »Sie haben mir nicht zugehört, Thomas«, sagte er. »Hier geht es um Interessen. Die größten Interessengruppen der Welt. Das Großkapital. Mit dem Großkapital nimmt man es nicht per Telefon auf oder mit ein paar höflichen Briefen an den eigenen Kongreßabgeordneten.«
    Ich stand auf und schwankte etwas unter dem Einfluß des Weins. Oder der Unterhaltung.
    »Wollen Sie schon los?«, fragte Woolf, ohne aufzusehen.
    »Vielleicht«, sagte ich. »Vielleicht.« Offen gesagt, ich wußte nicht, was ich vorhatte. »Aber erst will ich zur Toilette.« Das war wirklich mein dringendster Wunsch, denn ich war verwirrt, und Porzellan hilft mir beim Denken.
    Langsam ging ich durchs Restaurant auf den überwölbten Ausgang zu, im Kopf rappelte allerlei unsachgemäß verstautes Handgepäck, das herausfallen und Mitreisende verletzen konnte – was fiel mir eigentlich ein, an Starts und Landebahnen und den Auftakt zu langen Reisen zu denken? Ich mußte hier raus, und zwar so schnell wie möglich. Es war heller Wahnsinn gewesen, mir diese Fotos überhaupt anzusehen.
    Ich schwenkte in den überwölbten Ausgang ein, und da stand Sarah in einer Nische vor einem Münztelefon. Sie kehrte mir den Rücken zu und hielt den Kopf gesenkt, so daß er fast an der Mauer ruhte. Ich stand einen Augenblick da und betrachtete ihren Hals und ihr Haar und ihre Schultern und, ja, ich glaube, ich könnte sogar ihre vier Buchstaben abgezählt haben.
    »Hey«, sagte ich dümmlich.
    Sie wirbelte herum, und Sekundenbruchteile lang glaubte ich, echte Furcht auf ihrem Gesicht lesen zu können – wovor, konnte ich mir nicht vorstellen –, dann lächelte sie und hängte ein.
    »Und?«, fragte sie und kam mir einen Schritt entgegen. »Machen Sie mit?«
    Wir sahen uns eine Zeitlang an, dann lächelte ich zurück, zuckte die Achseln und wollte gerade »öhm« sagen, das sage ich nämlich immer, wenn mir die Worte fehlen. Wenn Sie das vor dem Spiegel ausprobieren, werden Sie feststellen, daß Sie für das »ö« die Lippen zu einem Schmollmund vorstülpen müssen – dieselbe Lippenform brauchen Sie beispielsweise fürs Pfeifen. Oder auch fürs Küssen.
    Sie küßte mich.
    Sie küßte mich.
    Ich will damit sagen, daß ich mit vorgestülpten Lippen und umgestülptem Hirn dastand, und sie kam einfach auf mich zu und schleuderte mir ihre Zunge in den Mund. Zuerst dachte ich, sie wäre womöglich über eine Diele gestolpert und hätte im Reflex die Zunge rausgestreckt – aber