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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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plötzlich. Das Mädchen, das schon auf dem Weg zum Keller war, drehte sich um, erstaunt über die Frage. Langweilig, sagte sie, aber da muss man durch. Haben Sie gute Freunde?, wollte Paula noch wissen, und Simone kam jetzt aus dem Staunen über so viel Interesse nicht mehr heraus. Ja, sagte sie, habe ich, nur zu wenig Zeit für sie. Zu viel Stress. Aber da muss man durch.
    Kein Martin in Sicht. Er bestrafte sie. Mit Recht, falls ein Kind das Recht hatte, seine Eltern zu bestrafen. Hatte er aber nicht. Deine Eltern wirst du nicht bestrafen, die dir das Leben geschenkt haben. Sie warf noch einen Blick in den Garten. Blätter bedeckten die Wiese, die nackten Bäume zeigten ihre graue Haut und pieksten blind in den Nebel. Da muss man durch, sagte die Zeit und verbündete sich mit der Kälte, um Paula zu durchdringen, die schaudernd an den Schreibtisch ging, um wenigstens etwas mit Worten festzuhalten. Sie fand nicht die richtige Form dafür, machte nichts, ihre Form war eben die Abwesenheit der Form. Sie brauchte kahl geschorene Wahrheiten. Ihrer Lust, zu verschönern oder zu vervollkommnen, wollte sie wenigstens schriftlich nicht nachgeben. Es ergab den windigen Roman der Paula Vanderbeke, der ihr einen anderen Dialog mit Martin ermöglichte. Sie führte auch ein zweites Heft, »die Partitur der Menschen«, in der sie seit Jahren alles vermerkte, was sie über einen Menschen und seine Beziehung zu ihr in Erfahrung brachte. Stichworte, Zitate, Begebenheiten, Empfundenes, ein Gerüst, das die Menschen um sie festhielt.
    Sie nahm die (kurze) Partitur der Simone und schrieb: Studium langweilig. »Da muss man durch.«
    Sie nahm die (sehr kurze) Partitur Ottas und schrieb: Die Verletzung heilt sehr gut. Hat sich hier eingelebt. Gleitet im Wasser, ich schaue zu, hüte meine Enkelin. Sie nahm die (lange) Partitur Jürgen Bodins und schrieb: Kümmert sich um Martin. Sieht ausgepowert aus, anwesend bei Evelyn Gordas Beerdigung. Ein Spitzel der Seele, Emotionensammler. Hat eine Oblate verzehrt. Komischerweise hatte ich Lust, seinen katholisch gewordenen Mund zu küssen. Glaube ihm seinen Glauben nicht. Komödiant.
    Sie blätterte zum Anfang von Bodins Partitur (vor vierzehn Jahren) zurück: Kam in weißem Anzug. Geistreich, eitel. Erzählt gute Witze, lobte meinen Kartoffelauflauf. Blickte verstohlen auf mein Dekolleté. Frauenkenner. Psychotherapeut. Anziehend.
    In ihrer chronologischen Tagesbaustelle stand: Beerdigungsfrühstück ohne Radio, ohne Zeitung, ohne Marmeladebrötchen. Draußen: sechs Grad Celsius. Nebel. Elf Uhr: Beerdigung von Evelyn Gorda. Lief im Schneeregen. Mein Traumkind tot. Leiche im Sarg, aber E. spielt Chopin in meinem Gedächtnis. Martins Schluchzen. Alles unerträglich. Wünschte mir eine Bombe in der Handtasche. Sie schrieb mit einem dunkelbraunen Filzstift, der Farbe ihres (gefärbten) und Martins Haares, die Farbe der getrockneten Farne und der zwielichtigen Gefühle und der braunen Erde, in die Evelyns Sarg hinuntergelassen wurde.
    Sie rief Simone: Trinken Sie einen Aperitif mit mir? Und zum Glück sagte Simone: Sehr gern. Bei Simones Einstellungsgespräch hatte Paula sie gefragt, welche Meinung sie von der Menschheit habe. Die Antwort klang pauschal: Hundert Prozent Arschlöcher, sagte das zukünftige Putzmädchen, Sie und mich inbegriffen. Wie sie das meine?, fragte Paula noch. Wörtlich und konkret, antwortete Simone, wenn auch einschränkend, damit benenne ich schlicht die Realität der Säugetiere und aller ausscheidenden Lebewesen, hebe vor allem aber die Gleichheit und Gleichwertigkeit der Menschen hervor, wie es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen steht, im Artikel 1, Satz 1, nämlich: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren, weil und obwohl sie alle Arschlöcher haben oder sind. Sie platzte vor Lachen und Paula erkannte, dass sie schon immer eine junge verrückte Putzhilfe haben wollte.

FELD 22: LILIANE HOFFMANN
DENKT NACH
    Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.
    D AS DEUTSCHE S TRAFGESETZBUCH,
§ 211 Mord
    Im Kopf hatte sie zwei Verse eines Chansons, die sie nicht losließen: Die

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