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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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Toten tanzen mit den Lebenden, die Toten singen mit den Lebenden. Ein Lied aus der Kindheit. Oder war der Text nicht eher: Die Toten tanzen in den Lebenden, sie singen in den Lebenden. Ein lästiger Ohrwurm, den sie in den See hätte werfen wollen. Was sollte sie von diesem sonderbaren Wesen halten, wahrscheinlich einem Zwitter, Sohn einer reichen Mutter, einem Naturmenschen, der im eiskalten Wasser schwimmen ging? Nachts aber lief er manchmal als Transvestit herum, so was erfuhr man flott bei den Nachbarn. Sie hatte noch nie einen solchen Mensch getroffen, fand ihn sympathisch, offen, andersartig ja, aber auch im guten Sinn. Er schien nicht aus dem Stoff der Mörder gemacht zu sein, dachte sie (und dachte sofort, es gebe keinen Mörderstoff). Sie hatte spontan Lust, ihm zu glauben, aber man sollte keinem Mensch zu schnell ein Unschuldszeugnis ausstellen (und dachte sofort: Warum nicht?), sie wusste nur zu gut, dass sie in ihrer jungen Karriere noch nicht allen Typen von Mördern begegnet war, nicht alle Beweggründe für das Kapitalverbrechen kannte (grob aufgezählt: Geld und Habgier, Neid und Eifersucht, Machtgier, Sex, Hass und Rachelust, Irrsinn und religiöser Wahnsinn, Selbstschutz, Überforderung/Verzweiflung), nicht alle Variationen und Verstrickungen der Motive hatte sie erfahren, sollte aber dieser Martin ein sexuell gestörter Mörder sein, dann könnte sie sich nie mehr nach ihrem Riecher richten (und dachte sofort: Ich bin kein Hund). Dieser Mensch da, halb Mann, halb Frau, könnte wohl ein Potenzial an verborgenen Leidenschaften und Frustrationen in sich bergen, die zu extremer Gewalt führen könnten. Man habe in der Tat Homosexuelle erlebt, die zu Kannibalen wurden. Oder Männer, die, wegen ihrer schwachen Potenz verspottet, sich mit einer Wahnsinnswut gerächt haben. Martin Vanderbeke verehrte Evelyn Gorda so sehr, dass er sich bei dem Gedanken, sein Idol nie besitzen zu können, in eine Tobsucht hätte steigern können, sie erwürgt und ertränkt haben könnte (und sie dachte sofort: Seit wann übertrage ich die Parolen des Arsches Andreas ins Hochdeutsche?). Die Toten tanzen in den Lebenden.
    Sie lief zum See zurück und schaute das Wasser an, in dem der sonderbare Mensch gebadet hat. Sie erforschte die jetzt spiegelglatte Oberfläche, als suchte sie nach Spuren der Wahrheiten und Lügen, die er da hinterlassen haben könnte. Der Mörder hatte sein Opfer direkt von vorne angegriffen, er hatte sie Auge in Auge erwürgt, bevor er ihren Kopf ins Wasser tauchte. Je mehr sie darüber nachdachte, desto weniger schienen ihr Martin und seine Mutter schuldig (eine extravagante Tante, leicht arrogant, fordernd, ironisch, schaute auf einen herab, bunt wie ein Papagei). Eine Mutter würde meistens ihr Kind schützen, aber ein Tatmotiv sah Liliane nicht, auch ein abgewiesener Martin Vanderbeke war kein gewaltsamer von Mord- und Sexlust angetriebener Typ, dessen war sie sich sicher (wirklich?). Die Recherchen aber unter Evelyns Familie und Bekannten, bei den Musikagenturen, im zwielichtigen Milieu und in bestimmten, sehr verschwiegenen Clubs hatten bis jetzt nichts ergeben, und Andreas und Jurek sowie zwei oder drei andere Ermittler waren überzeugt, dass ein Zwitter ein typisch sex- und geistesgestörter Mensch sein müsse. Er läuft doch ständig in dieser Gegend herum, beteuerte Andreas, und gerade am Nachmittag des Mordes war er da. Seine Mutter schützt ihn. Man trat auf der Stelle und der Druck von oben nahm zu.
    Sie versuchte, einen möglichst flachen Kieselstein zu finden, um ihn auf der Wasseroberfläche hüpfen zu lassen: Wenn er drei Mal hüpft, ist Martin unschuldig. Der Stein sprang nur zwei Mal, und sie tröstete sich damit, dass der nicht flach genug gewesen war, also zählte das nicht. Sie stocherte in ihrem Gedächtnis nach einer weiteren Strophe des Liedes, fand nichts.

FELD 23: SCHLANGEN
    Für ihn (Jung) war eben die Schlange ein solches archetypisches Symbol, das die tiefste Bewußtheit des Menschen von der Lebensenergie der Natur zum Ausdruck bringt, von der das Sexuelle als ein besonderer Aspekt angesehen werden könnte, die Versuchung als ein zweiter und das Heilen als ein dritter, während das profundeste von allen das alte Symbol der Schlange sei, die sich selbst in den Schwanz beißt, des Uroboros, der zum Ausdruck bringt, wie die Lebenskraft in der Natur aus sich selbst lebt und

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