Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
Vom Netzwerk:
sich Paula nicht mehr unter Kontrolle und brauste auf. Was denn, zischte sie den Radfahrer an, was gibt es da zu gaffen? Wollen Sie ein Foto von uns? Der junge Mann stieß ein kurzes Lachen aus, das sich wie ein Niesen anhörte, in der Tat habe er gedacht, sagte er, ein Foto könne vielleicht helfen, und was der Herr sicher noch brauche, sei eben eine Skizze der Stellung der zwei Wagen im Augenblick des kleinen Unfalls, und dagegen – und er drehte sich zu ihrem Kontrahenten und runzelte die Stirn, nickte freundlich mit dem Kopf – könne die Dame nichts haben, damit also sei für ihre Versicherung die Situation ganz und gar klar und die Polizei überflüssig. Ich habe doch aber keinen Fotoapparat dabei, kläffte der Typ. Auch kein Handy? Doch, ein Handy habe er. Super, dann solle er zuerst ein Foto von den Blessuren an seinem Auto machen, antwortete der junge Mann, und eine Skizze zeichnen könne er selbst. Hatte er »Blessuren« gesagt? Was für eine komische Sprache für einen jungen Mann, er meinte es bestimmt ironisch, der Blaumann guckte ganz schön erschrocken, aber auch interessiert. Okay, sagte er, wenn es so ist, sind Sie mein Zeuge, können Sie mir auch Ihre Adresse geben, junger Mann? Ein Augenblinzeln in Richtung Paula und augenblicklich war sie sich sicher, der junge Mann sei auf ihrer Seite, er hatte sofort gespürt, dass sie seine Unterstützung brauchte, dass dieser Grobian, der sich erlaubte, ihr ans Bein zu pinkeln, meilenweit unter ihrem Niveau war. Er würde sie retten.
    Einige Minuten später waren Fotos und Skizze fertig, Adressen und Telefonnummern ausgetauscht und der Blaumann mit seinem Wagen weggefahren. Paula betrachtete den Radfahrer, der sie vage an jemanden erinnerte, aber sie wusste nicht mehr an wen, sie fand ihn richtig süß, sie hätte gern das ganze Haar gesehen, das der Fahrradhelm einsperrte, und schlug ihm vor, bei ihr ein Glas zu trinken, gleich hier, wissen Sie, das Haus da am Ende der Allee. Da fuhr ich doch gerade raus. Ich wollte sowieso zu Ihnen, sagte der junge Mann zur verblüfften Paula, deshalb habe ich da angehalten, ich wollte es aber vor dem Mann nicht sagen, der sonst gedacht hätte, wir stecken unter einer Decke. Sie sind doch Frau Vanderbeke, die Mutter von Martin. Sie erkennen mich nicht? Ich war aber schon mal bei Ihnen, ein Hauskonzert vor etwa drei Jahren, wir waren zu zweit, der andere spielte die Hammondorgel. Ich bin Tobias Wildenhain. Er nahm den Helm ab, fuhr sich mit der Hand zwischen die dunkelblonden Locken und jetzt erkannte ihn Paula, na klar, der schöne Tobias Wildenhain, aber sicher, Tobias, erkenne ich Sie! Ein begabter Musiker, ein hilfsbereiter Mensch, dieser Tobias. Und jetzt wollte er zu ihr? Als Musiker vielleicht? Nein, erklärte Tobias, ich habe Martin neulich in einem meiner Konzerte getroffen, er hatte mich gebeten, ihn anzurufen oder vorbeizukommen, wir könnten uns über Evelyn austauschen. Leider hat er mir seine Adresse nicht hinterlassen und ich habe auch keine Telefonnummer, keine E-Mail-Adresse von ihm, und da Ihr Haus auf meinem Weg nach Hause ist, habe ich gedacht, bevor ich da groß recherchiere, frage ich Sie einfach danach!
    Paula fuhr rückwärts bis zur Villa, ein bisschen verwirrt, der Unfall, der Schreiaffe, Tobias, den sie ohne den Unfall verpasst hätte, ja, der Grobian und sein BMW waren ein Fall der Vorsehung geworden, sie hatten dafür gesorgt, dass sie den schönen Musiker wiedertraf, dass die Erinnerungen an das Konzert aufkamen, das er damals gegeben hatte, ihr rituelles Frühjahrskonzert, eine begehrte Gelegenheit für die Musiker der Stadt, Publikumserfahrung zu sammeln und Geld zu verdienen, denn Paula zeigte sich immer großzügig. Ab und zu schaute sie kurz in den Rückspiegel, um sich zu vergewissern, dass sie geradeaus fuhr und nicht gegen einen Platanenstamm, und schaute wieder zu Tobias hin, wir fahren Tango, dachte sie, rückwärts, aber Auge in Auge.
    Tobias lächelte vor sich hin: Er sah Paulas Gesicht hinter der Scheibe schimmern und wurde vom gelben Licht gefangen genommen, das in die Fluchtlinie der Allee fiel. Er fuhr im Schritttempo zwischen den gestutzten Platanen, die sie säumten. Oft hatte er vor dieser Einfahrt gestanden, träumend, bewundernd, die Hausbesitzerin und Martin beneidend, nichts regt die Fantasie so sehr an wie eine von Bäumen gesäumte lange Allee, die zu einer reichen Villa

Weitere Kostenlose Bücher