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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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den Redefluss einzubrechen, dann machte sie, was man bei solchen Cholerikern nie machen durfte, das wusste sie genau und konnte es doch nicht lassen, sie stellte mit Krankenschwesterstimme rhetorische Fragen: Ob ein Dellchen es wert sei, dass er sich derart aufrege, aus Wut einen Herzinfarkt riskiere, ob nur sein teures Auto in seinem Leben zähle? Sie sagte zu viel, immerhin nicht alles, was ihr im Moment so durch den Kopf ging, zum Beispiel, dass dem Arschloch der dicke BMW vermutlich wichtiger sei als seine Kinder und seine Frau, arme Frau, arme Kinder, diesem Wüterich ausgeliefert. Ihre perfide Ironie hatte den Mann zur Weißglut gebracht: Ihren Ton könne er gar nicht haben, und wenn man sich so unehrlich (wieso unehrlich?, krächzte sie kurz) benehme, dann erteile man dem anderen keine Lektion, wofür sie sich halte, und so weiter. Paula versuchte, nicht mehr dazwischenzufunken, der Typ war zweifellos ein Esel in der Schule gewesen und fühlte sich wohl in diesem Augenblick von seiner Lehrerin zurechtgewiesen, von oben herab behandelt, eine Unverschämtheit, ein Unding. Sie reichte ihm stumm ihre Versicherungskarte und wiederholte immer noch leise, dass ihm die Reparaturkosten erstattet würden. Er machte kurz den Mund zu, um einen Blick auf die Karte zu werfen, und obwohl es sie juckte, ihm dazu zu gratulieren (Waah! Sie können lesen!), beherrschte sie sich. Die Gewalt des Wortschwalls rumorte aber weiter in ihrer Magengrube, in ihrem Kopf, sie vertrug es nicht, angebrüllt zu werden, Menschenhunde, die mit Bellen den anderen zu Tode erschrecken wollen, bevor sie sich gegenseitig zerfleischen, Leute, die wie Vulkane ausbrechen, die man wegsperren sollte, damit sie die Luft der anderen mit ihrem schlecht riechenden Geschrei nicht verschmutzen. Der Typ spann aber weiter das Thema der fehlenden Augen im Kopf und fragte wieder, was für große Töne sie da spucke und wovon sie ihn ablenken wolle, beteuerte erneut, das könne er gar nicht haben, verlangte schließlich, dass sie ihre Schuld schriftlich zugab, und auf einmal füllte ihm das Wort Polizei die große Klappe, sollte sie nicht unterschreiben, müsste er eben die Polizei rufen, er sabberte dabei, das Wort schmeckte ihm, und in Paulas Kopf brodelte es tüchtig, sie war im Begriff zu explodieren, beherrschte sich, machte allerdings seine Aussprache nach, als sie ihn fragte, jetzt ganz Volksschullehrerin, ob er wirklich für den Kratzer die Polizei stören wolle: Haben Sie denn keinen Respekt vor der Arbeit der Polizei? Muss sie für diese Lappalie gerufen werden? Sie musterte die gerunzelte Stirn des Cholerikers, die eine Sekunde hypnotisch auf sie wirkte, deren Falten sie weit weg vom Geschehen zu diesen wesentlichen Fragen brachte: Wann hatte sie zum letzten Mal Glück eingeatmet? Wann hatte zuletzt ein Gefühl der Leichtigkeit sie gestreift, wann hatte sie Freudensprünge gemacht oder ohne Grund eine schöne Landschaft angelächelt, einem Sonnenuntergang ihre Begeisterung zugeschrien? Wann hatte sie zuletzt abends in ihrem Garten das Untergehen des Lichtes wahrgenommen, die Ruhe und die Ordnung dieses Gartens genossen, den sie selbst seit vielen Jahren bepflanzte und pflegte? Wann zum letzten Mal Dankbarkeit dafür empfunden, am Leben zu sein, wann die Schönheit des Lebens nachempfunden? Hatte sie überhaupt noch einen Sinn für Schönheit und Güte
    Ich rufe jetzt die Polizei ! Der Aufgebrachte ließ seiner eruptiven Wut freien Lauf, Paula hörte nicht mehr zu und steigerte sich in ihren eigenen Aufruhr. Das Gerede: Menschliche Lava, Schlamm, Kot, wenn er einen Schritt näher kommt, springe ich ihm an die Kehle. Sie machte selbst einen Schritt zurück, um den heißen Atem des Typs nicht zu spüren. Und dachte alternativ: Wenn er jetzt endlich den Mund hält, brülle ich ihm die Adresse von Bodin zu. Dann: Eine Sekunde Ruhe vor dem nächsten Ansturm: Was für ein Leben führte dieser Mensch, um in ein solches Delirium zu geraten? Aber sie schäumte wieder auf, als sie einen Radfahrer erblickte, der blöd dastand, ein Bein an jeder Seite des Fahrrads, und neugierig die Gratisvorstellung begaffte. Er trug einen enormen Musikinstrumentenkasten auf dem Rücken, ein Musiker, der sein Bedürfnis nach Harmonie mit der Menschheit teilen wollte? Der plötzlich seine Stunde als Konfliktschlichter gekommen sah? Der Wüterich hielt endlich inne, dafür hatte

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