Bodin Lacht
kleinen Kaff« gelandet und wolle da für immer leben.
Es hätte auch schiefgehen können. Ob er sein Wort gehalten hätte und ihr die begehrten tödlichen Medikamente gegeben hätte? Natürlich nicht.
Gebirge. Begierde. Monatelang hatte er an sie gedacht und sich in eine unmögliche väterliche Liebe (leicht von Erotik angehaucht? â Aber ja.) hineinfantasiert, während er sie sich bei geschlossenen Augen auf Bergkämmen, auf Almwiesen sitzend, in einer Berghütte schlafend vorstellte.
Er streichelte die Kulibuchstaben auf der Karte und spürte in sich eine Idee aufkeimen. Sollte er nicht wenigstens bei ihr, einzig bei dieser Patientin, versuchen, Kontakt aufzunehmen, aus reiner Neugier? Ja, das Mädchen, dem er ein neues Leben geschenkt hatte, wollte er jetzt wiedersehen. Er wollte ein Zeuge seiner neuen Existenz werden. Aber wo könnte Christine Droemer stecken, die jetzt Anfang bis Mitte dreiÃig sein müsste? Ob sie bei ihrem Bergsteiger geblieben war? Was für ein Leben führte sie dort? Hirtin, Käsebäuerin, Wanderführerin, Verkäuferin in einem Wintersportgeschäft, war sie Mutter geworden? Hatte sie ihr Trauma ganz überwunden? Herr Doktor Bodin hielt die Ansichtskarte zwischen den Fingern und spürte in sich eine neue Energie. Er würde jetzt sofort in eine Buchhandlung gehen und eine Karte der Schweiz kaufen.
FELD 28: DIE KOTFLÃGEL DEINES NÃCHSTEN
Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter.
S PRICHWORT
Die Landschaft war in scheuÃliches Grau gehüllt. Sie hielt es nicht mehr aus. Sie musste zu Martin. Oder ihn zum Abendessen einladen; einen Vorwand zu finden war ein Kinderspiel: Sie meinte, Laich im Aquarium gesehen zu haben, vielleicht sollte er sich das ansehen. Die Clownfische hielten oft her, um Mutter und Sohn zu versöhnen, die delikate Züchtung verlangte einen kundigen Blick, und da Martin darauf bestand, eine eigene Wohnung zu haben, war er auf ihre Dienste angewiesen. Oder sollte sie einfach bei ihm klingeln? Ihn überfallen. Sie habe das Buch, das er suchte, wiedergefunden, sie wisse, dass er es brauche, und da sie sowieso in der Gegend zu tun habe ⦠Sie hatte in der Tat ein Buch von Martin aufgestöbert, allerdings schon vor Wochen, und es ihm nicht zurückgegeben, sie ahnte, dass sie bald einen Vorwand brauchen würde, um ihn wiederzusehen.
Der Weg war leicht verschneit. Sie hätte ihre Winterreifen rechtzeitig aufziehen lassen sollen, die StraÃen waren bestimmt schlecht geräumt. Beim Einfahren in die HauptstraÃe war Vorsicht geboten, Passanten oder Radfahrer rasten blindlings vor dem Wagen vorbei, denn diese Idioten waren nicht darauf gefasst, dass ein Auto aus der Allee herausfahren und für einige Sekunden den Geh- und Fahrradweg blockieren könnte. Wenn die Vorderreifen einmal auf der HauptstraÃe standen, musste sie natürlich auf den Verkehr achten, der von rechts wie von links floss und selten ruhte. Jetzt versperrte ihr aber ein dicht an ihrer Ausfahrt parkender BMW die Sicht. Dass sie jetzt, als sie anfuhr und doch sofort bremsen musste, weil ein Kleinbus von links kam, plötzlich ins Rutschen geriet, und mit ihrer Vorderseite das parkende Auto streifte, war nur mit dem rutschigen Matsch zu erklären. Sie fluchte, rollte ein Stück rückwärts in ihre Einfahrt und stieg aus: Die Schäden am Kotflügel des Parkenden hielten sich in Grenzen. Der Vorderteil des Wagens war kaum beschädigt, wenn man genauer hinschaute, merkte man, dass das Nummernschild vielleicht ein klein wenig schräg hing. Sollte sie ihre Karte an der Windschutzscheibe hinterlassen? Ob der Besitzer des BMW s in der Nähe war? Lang musste sie nicht warten: Ein Mensch im Blaumann kam angerannt, sah sie da stehen, verstand ihre Gestik, lugte, fluchte und bekundete, sie habe wohl keine Augen im Kopf. Er überhörte ihre gestotterte Entschuldigung, den Versuch einer Erklärung, sein Wagen habe ihr die Sicht auf die StraÃe versperrt, weshalb sie sich zu weit vorgewagt habe, ja, und dann musste sie plötzlich bremsen und sei ins Rutschen gekommen, der Schnee, der Matsch. Diese Erklärung lieà ihn richtig aufbrausen: Von wegen zu nah an ihrer Einfahrt, ob das als Entschuldigung gelte? Nagelneu sei sein Wagen, und dann so was. Und wieso sie jetzt ihre eigene Kiste weggeparkt habe, ein Vertuschungsversuch der Fakten, Fahrerflucht, klarer Fall! Sie sah vorerst keine Chance, in
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