Bodin Lacht
zerdrückt hatte, hatte sich vorher daran verbrannt und nicht ertragen können, dass es weiter glänzte und andere erhellte und erwärmte. Ein Engel könne aber auch fallen, sagte Andreas, Satan sei ein gutes Beispiel dafür, und damit hatte er nicht unrecht.
Liliane Hoffmann stand auf, betrachtete sich im Spiegel über dem Waschbecken. Sie selbst war kein Engel, wollte kein Engel sein und kannte leider keinen Engel, der sie retten könnte. Sie war fähig zu zielen, zu schieÃen, mit einem Karategriff jeden Angreifer zu Boden zu zwingen und auch ihr Gehirn gut einzusetzen. Und sie konnte hassen. Aber sie kannte auch diese ekelerregende Neigung, lieb zu sein, nachzugeben, um nicht als kranke Zicke, hochnäsige, neurotische Verklemmte dazustehen. Sie hätte gern jemanden geliebt, weil Liebe (am besten platonische Liebe) das Einzige war, das einen (vielleicht) beflügeln konnte.
FELD 30: DIGITALE SUCHE NACH CHRISTINE
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Die Zeitgleichheit der Erinnerungen tilgte alle Stufen der Vergangenheit. In seinen Gedanken traten die Frauen synchron auf, seine Mutter, die kleine perverse Clothilde, bei der er sich wie eine Forelle am Haken fühlte, wenn sie ihn mit der Zahnspange anlächelte, Paula, die schöne Evelyn Gorda und die Patientin Christine Droemer, deren kummergetränkten Augen er vor zwölf Jahren verfallen war. Sie musste er wiederfinden. Vielleicht als Gegengift gegen Clothilde und gegen die Plage der Mutter als Putzsisyphos, das Tuch, das sie in seinem Gedächtnis immer wieder auswrang. Jeder, der sich einen Schmutzlappen genau angesehen hatte, wusste, dass es kein niederträchtigeres Objekt gab, und keines, dessen Hässlichkeit und Schmutz die Hände einer Mutter schlimmer beflecken könnte, ein ansteckendes Ding, das mit den Jahren irreparable Spuren hinterlässt, die Haut der Finger und des Handrückens angreift, nein, keine Beleidigung war grausamer als die täglich ausgepressten, schmierigen Aufwischlappen, die man auch Scheuerlappen oder Aufnehmer nennen kann.
Hatte er damals Christine Droemer wirklich gerettet? Auch das musste er erfahren, um die immer wieder zutage tretende Clothilde zu verbannen, um dem Bild der toten Pianistin den Rücken kehren zu können, mit der er nach der letzten Fete bei Paula ein paar Mal spazieren gegangen war, ja, um alle dunklen Gedanken zu vertreiben, die der Mord an Evelyn in ihm aufgewirbelt hatte.
Er suchte im Internet den Namen des Dorfes auf der Ansichtskarte, und es erschien eine offizielle Website auf dem Bildschirm, Bilder des Ortes im Winter und im Sommer, Blumen, EdelweiÃe und Enziane natürlich, ein kleiner Skilift, alles bescheiden, ein Ferienort für die Familie, ein Ort für Bergliebhaber, ein paar weitere Klicks und es dauerte keine fünf Sekunden, bis er eine alphabetische Adressenliste auf dem Bildschirm durchforsten konnte, aber leider war keine Christine Droemer dabei. Sie hatte sicher geheiratet und den Namen ihres Schweizer Gatten angenommen. Er lief auf und ab und schwitzte wie ein Schüler, der im Begriff ist, eine Dummheit zu begehen. Christine Droemer war nicht besonders schön gewesen, sie hatte aber etwas Nobles, etwas Erhabenes gehabt, das drei Schweine zerbrochen hatten. Einmal, nach vielen Therapiestunden, sagte sie jedoch, sie habe die ganze Zeit und schon beim Aufwachen ein Gefühl des Verlusts. Er hörte ihre Stimme wieder: Ich habe ein Gefühl des Verlusts. Unschuld, Vertrauen, Zukunft, Freude am Sex, das Gefühl der Liebe, alles war beschmutzt, er wusste es. Und er streckte seine Antennen nach ihr aus, ohne Methode, ohne Schule, ohne Freud und Adler, näher vielleicht an Viktor Frankl, vor allem nervös, diffus, persönlich. Seine Lippen öffneten sich, seine Stimme wurde sanfter: Erzählen Sie von diesem Gefühl (Schweigen, die Patientin wurde kurzatmig). Was ist Ihnen abhandengekommen (sie streckte die Hände, drehte sie um, schüttelte den Kopf)? Haben Sie sich verloren? Er fragte zu viel, hatte keine Geduld, die Fragen betrafen ihn, was er verloren hatte, seine Illusionen, seine Träume, seine Hoffnungen, jeder reife Mensch tauscht irgendwann eine
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