Böse Dinge geschehen
Haus am Huron River getötet.
Der Tote trug eine Pistole in einem Halfter am Knöchel – warum?
Er hatte Blut und Hautpartikel unter seinen Fingernägeln, was auf einen Kampf mit seinem Mörder hindeutet. Höchstwahrscheinlich hat er seinen Mörder im Gesicht, am Hals, an den Händen oder an den Armen gekratzt. Tom hat an keiner dieser Stellen irgendwelche Kratzer.
Laura Kristoll hat keinerlei Kratzer an ihrem Körper. Es ist unwahrscheinlich, allerdings auch nicht unmöglich, dass sie die Kraft besitzt, einen Mann mit einer Flasche Scotch zu erschlagen.
Wenn weder Tom noch Laura Beccanti getötet haben, dann ist er von jemand anderem getötet worden. Diese Person ist nach dem
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Mord verschwunden. Sie ist nicht dageblieben, um bei der Beseitigung der Leiche zu helfen – warum?
Vielleicht lügt Tom, was die Identität des Toten anbelangt. Vielleicht handelt es sich gar nicht um Michael Beccanti. Vielleicht gibt es gar keinen Michael Beccanti.
Der Regen fiel auf das Verandageländer, auf Loogans Schuhspitzen.
Der Tote, wer auch immer er war, wurde in Kristolls Haus getötet. Der Mörder war höchstwahrscheinlich ein Bekannter von Tom und Laura Kristoll.
Loogan hielt inne. Wen kannte er, der mit Tom und Laura befreundet war? Da waren die Praktikanten und Autoren von
Gray Streets.
Da gab es ein paar Freunde, die er bei Partys im Sommer kennengelernt hatte. Da gab es wohl auch Eltern, Brüder, Schwestern – aber er hatte sie nie kennengelernt.
Er würde sich an das halten, was er wusste. Er schrieb AUTOREN und stellte darunter eine Liste von mehreren Autoren zusammen, deren Geschichten er redigiert hatte. Keiner von ihnen lebte hier in der Gegend. Aber es gab zwei einheimische Schriftsteller, die er bei Kristoll zu Hause kennengelernt hatte: ein hochgewachsener Mann mit einem lächerlichen Namen – Nathan Hideaway. Und eine Frau – Bridget Sowieso –, die Bücher über eine weibliche Ermittlerin und ihren Hund schrieb. Er setzte ihre Namen auf die Liste. Unter einer neuen Überschrift – PRAKTIKANTEN – notierte er:
Das Mädchen mit den rotbraunen Haaren – Valerie? Der Junge mit dem Ziegenbärtchen und dem rasierten Schädel. Ich sollte mir wirklich die Namen der Leute merken.
Unten auf der Seite fügte er hinzu:
Ich weiß praktisch gar nichts über Tom und Laura Kristoll.
Loogan sah auf und entdeckte einen Wagen, der an der Bordsteinkante |52| parkte – Tom Kristolls Ford. Kristoll kam in Regenmantel und Filzhut den Gehweg entlanggelaufen und stieg die Treppe zur Veranda herauf. Unter dem Arm trug er ein Päckchen: rechteckig, dünn, in braunes Papier eingeschlagen. »Was machen Sie gerade?«, fragte er.
Loogan klappte das Notizbuch zu und legte es auf den Sitz der Schaukel. »Ich mache mir Notizen zu einer Geschichte, die ich nie schreiben werde.«
»Das höre ich aber gar nicht gern«, sagte Kristoll. »Wenn Sie eine Idee haben, dann müssen Sie sie aufschreiben. Wenn Sie damit Probleme haben, kann ich ja mal draufschauen.«
»Es ist noch zu frisch, Tom«, sagte Loogan, der sich erhob. »Gehen wir doch rein.«
»Ich kann nicht lange bleiben«, sagte Kristoll. Er senkte den Kopf, und Regentropfen rollten von der Kante seines Filzhutes. »Ich habe Ihnen nie richtig für Ihre Hilfe neulich nachts gedankt«, sagte er. »Ich dachte, ein Geschenk wäre wohl angemessen. Bei jeder anderen Gelegenheit hätte ich eine Flasche Scotch genommen. Aber ich dachte, das wäre etwas unpassend. Die Symbolik wäre gänzlich falsch. Also habe ich stattdessen das hier ausgesucht.«
Er gab Loogan das Päckchen. Das braune Papier war mit Regentropfen besprenkelt. Loogan riss es auf, und darunter kam eine gerahmte Fotografie zum Vorschein – Glassplitter und Blütenblätter und Papierfetzen in der Form von Blättern. Das Foto, das Laura an dem Tag gekauft hatte, als sie zusammen in der Galerie gewesen waren.
»Laura hat es ausgesucht«, sagte Kristoll. »Ich habe ihr erzählt, dass ich Ihnen etwas schenken wollte. Sie wusste natürlich nicht, warum, aber sie meinte, das hier könnte Ihnen gefallen. Ich weiß nicht, wo Sie es aufhängen können. Ich vermute, es ist nicht groß genug, um es über den Kamin zu hängen. Vielleicht in Ihrem Arbeitszimmer. Gefällt es Ihnen?«
»Es ist wunderbar«, sagte Loogan.
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In der folgenden Woche hörte er wieder von Kristoll, am Freitagnachmittag. Er lag bäuchlings auf dem Wohnzimmerteppich und hatte vor sich die Seiten eines
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