Böse Freundin (German Edition)
dato einzige Anzeichen für den Fortbestand der Dursts im einundzwanzigsten Jahrhundert war ein Porträt von Daniel, dem Enkel. Es verdeckte im Wohnzimmer das Hochzeitsbild seiner Eltern und dieses wiederum ein gerahmtes Gedicht, mit dem Celia in der Highschool einen landesweiten Literaturwettbewerb gewonnen hatte: drei Staubfänger auf einem missachteten Tischchen neben dem unbequemen Sofa, einem Familienerbstück. Der Rest des Zimmers, das nur selten als Wohnraum diente, war Warrens Jazzleidenschaft geweiht, an der sich einmal ein großer Streit zwischen Celia und Djuna entzündet hatte. Nachdem sie sich gemeinsam an einer mathematischen Zeitschrift von Mr. Pearson ausgetobt hatten, wollte sich Djuna über Warrens Plattensammlung hermachen, was Celia jedoch nicht zuließ. Nicht zuletzt dank ihrer Wachsamkeit war hier bis heute alles intakt: die nach Maß gefertigten Plattenschränke, das hochwertige Abspielgerät, das nicht anzufassen man Celia von Geburt an eingeschärft hatte, und der uralte Ledersessel, in dem sich ihr Vater über monströse Kopfhörer seine Aufnahmen in einer Lautstärke anhörte, die für jeden anderen unerträglich war; er hielt an der Überzeugung fest, dass LPs Musik getreuer wiedergaben als alles, was danach noch erfunden worden war.
Aus der Küche hörte Celia das zarte Klirren eines Stielglases, gefolgt von dem schmatzenden Geräusch, mit dem der Kühlschrank aufging. Als sie noch klein war, stand die Weinflasche ihrer Mutter im Türfach, eine kipplige Angelegenheit, die gelegentlich zu einem Kladderadatsch aus Chablis und Scherben führte. Etwa um dieselbe Zeit, als sich in Celias Lunchpaketen erstmals Saftpackungen fanden, wurde im Kühlschrank dauerhaft ein Fünf-Liter-Pappkarton mit einem Plastikhahn installiert. Es war Djuna, die feststellte, dass sich hier unauffällig und ungestraft etwas abzweigen ließ. Noreen trank seit Jahr und Tag ein Glas zum Abendessen sowie hin und wieder spätnachmittags ein Schlückchen zur Einstimmung. Dieses einzige elterliche Laster ließ auf eine maßvolle Veranlagung schließen, die Celia ihrer Meinung nach geerbt hatte. Dass es sich bei ihrem Bruder anders verhielt, hatte sie seit jeher vermutet. In ihrem zweiten Jahr am College ging es mit seinen Noten bergab. Der maulfaule, finster blickende Teenager mit den Kopfhörern, den sie bei ihren kurzen Besuchen zu Hause zu Gesicht bekam, weckte ihre Bewunderung. Sie selbst hatte erst gegen Ende ihrer Highschoolzeit, als die Entscheidung für das College anstand, gewagt aufzumucken. Über den Wandel, der mit Jeremy vor sich ging, hatten ihre Eltern sie in vielen optimistisch klingenden Ferngesprächen auf dem Laufenden gehalten und stets fröhlich behauptet, es sei alles in bester Ordnung, bis Celia in ihrem dritten Collegejahr mit einem Anruf darüber informiert wurde, dass Jeremy im Koma lag. Erst bei dem Wort Überdosis begriff Celia, dass von Anfang an Drogen im Spiel gewesen waren. Nun fragte sie sich, ob Jeremys Sucht eine Variante dessen darstellte, was von ihr nur dieses eine Mal Besitz ergriffen hatte, damals im Wald mit Djuna. Der Unterschied lag hauptsächlich in der Schlagrichtung. Die von Celia war nach außen gegangen, die ihres Bruders nicht.
Warren war mit dem Koffer seiner Tochter halb die Treppe hinauf; unterdrücktes Ächzen begleitete jeden seiner schwerfälligen Schritte. Celia ließ sich Zeit mit ihrem Mantel, bis die Geräusche schwächer wurden, erst dann folgte sie ihm. Dass er Arthrose hatte, wusste sie, seit ihre Mutter ihm zum letzten Weihnachtsfest eine Badehose geschenkt hatte – für therapeutische Wassergymnastik im Pool des Colleges. Bei ihren Stippvisiten zu Hause hielt Celia am Frühstückstisch nach unbekannten Pillen Ausschau und überprüfte den Arzneischrank auf Neuzugänge, um zu wissen, welche Fragen sie stellen musste. Ein einziges Mal, als Noreen einen Knoten in ihrer Brust entdeckte, waren Celias Eltern freiwillig mit medizinischen Informationen herausgerückt. Sonst warteten sie lieber ab, bis sie gefragt wurden oder die Gefahr vorüber war, und ließen Celia erst nach überstandenen Krankenhausaufenthalten wissen, dass eine Erkältung sich zur Lungenentzündung ausgewachsen hatte oder die Schmerzen in der Brust auf eine massive Magenverstimmung zurückzuführen waren – jedes Mal voll Stolz, ihr unnötige Sorgen erspart zu haben, und dickfellig gegenüber der Aufregung, die ihre verspäteten Mitteilungen hervorriefen.
«Wie geht’s mit dem Knie?»,
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