Böse Freundin (German Edition)
Anzahl der Schläge war ihr immer ein Rätsel geblieben, bis Randy Blocker, der zwei Häuser weiter wohnte und auf die katholische Schule ging, ihr erzählte, welche Faszination die neununddreißig Peitschenhiebe, die Christus hatte erdulden müssen, auf den Pastor ausübten – was Celia ein für alle Mal von ihrem Neid auf Schuluniformen mit Schottenkaro kurierte.
Nach Celias Abwanderung in den Mittleren Westen war der Pastor in den Ruhestand gegangen. Die Kirchenglocken hatten den Geist aufgegeben und stumm eine Ära des Stillstands eingeläutet. Die Kinder wechselten aufs College, und die Eltern blieben angesichts der stagnierenden Grundstückspreise im leeren Nest zurück. Kein Eiswagen signalisierte mehr mit munterem Geklingel den Beginn des Frühjahrs. Die Trillerpfeife des Bademeisters war nur noch schmückendes Beiwerk, da sich keine Nichtschwimmer mehr im Becken tummelten. An Halloween standen jedes Jahr weniger maskierte Kinder vor dem Haus, bis Warren und Noreen ganz auf die symbolische Schüssel mit Süßigkeiten verzichteten. An Wochenenden oder Ferientagen erweckten hier und da Enkelkinder auf Fahrrädern oder Rollschuhen abgezirkelte Rasenflächen und Gehwege zu neuem Leben, kehrten dann an den blühenderen Ort zurück, für den ihre Eltern sich entschieden hatten, und ließen wehmütige Omas und Opas zurück.
Als die staatlichen Kranken- und Rentenversicherungen eingeführt wurden, erschienen in den Vorgärten die ersten ZU VERKAUFEN-Schilder. Die Besitzer zunehmend verschlissener Hüft- und Kniegelenke strichen das Geld ein und tauschten Treppen gegen Zimmer in Seniorenresidenzen oder eine Wohnung in Gebäuden mit Aufzug. Anderswo verjüngten sich Orte durch eine derartige Abwanderung, doch selbst neue Mitarbeiter der Universität von Jensenville pendelten lieber aus weniger hoffnungslos postindustriellen Schlafstädten zu ihrer Arbeitsstätte. Verwaltungsunternehmen erwarben Einfamilienhäuser und vermieteten sie an Studenten, was einer Immobilie in etwa so gut tat, wie Laubholzbockkäfer auf einen Baum loszulassen. Vorgärten wurden zu Möbellagern, Rasenflächen verwilderten, Farbe blätterte ab und verblich. Bei ihrem Weihnachtsbesuch vor drei Jahren hatte Celia Randy Blockers Haus als verkohltes Skelett vorgefunden – das Resultat einer Party, auf der eine Couch und der Joint eines Bewohners sich zu nahe gekommen waren. Bis zum vergangenen Dezember hatte sich das rußgeschwärzte Gerippe, halb eingesunken und von Efeu und Graffiti bedeckt, noch gehalten. Erst jetzt, sah Celia beim Einbiegen in ihre Straße, stand auch hier endlich ein ZU VERKAUFEN-Schild mitten auf dem planierten Grundstück, ziemlich genau dort, wo sich, wenn ihre Erinnerung sie nicht täuschte, einst das Gästebad der Blockers befunden hatte.
«Es geht aufwärts mit dem Viertel», hätte sie beinahe gescherzt, doch dann fiel ihr das Gerät zur Erzeugung von weißem Rauschen ein, das ihre Mutter im Vorjahr zu Weihnachten bekommen hatte – angeblich, um damit die gar nicht existierenden Schnarchlaute ihres Vaters zu übertönen, nicht etwa das Gejohle betrunkener Studenten. Celia und Jeremy setzten ihren Eltern abwechselnd zu, das Haus zu verkaufen, doch Warren war zu stolz, um zuzugeben, dass seine Verschönerungsversuche gegen den Verfall des Viertels nichts ausrichten konnten. Nachdem dröhnende Stereoanlagen die Freuden der Entspannung im Freien zunichtegemacht hatten, hatte er die Terrasse zu einem verglasten Anbau ummodeln lassen. Als Nächstes wurde ein gut zwei Meter hoher Sichtschutz errichtet, damit man auf der neuen Glasveranda nicht ständig den Monstergrill im Blick hatte, der jetzt dort stand, wo Mrs. Henley ihren Blumengarten gehabt hatte. Celia hatte sich damit abgefunden, dass eine Veränderung erst nach dem Tod ihres Vaters zu erwarten war. Ohne ihn würde ihre Mutter nicht weiter in dem Haus wohnen wollen. «Bist du müde, Celie?», frage Noreen, kaum dass sie in die Zufahrt eingebogen waren. «Ich hab mir gedacht, wir könnten heute Abend doch in das chinesische Steakhaus gehen.»
«Da will Cee Cee bestimmt nicht hin», sagte Warren. «Die Preise sind viel zu hoch, und es arbeitet kein einziger Chinese in dem Laden. Unsere Tochter ist Chicago gewohnt! Mit so was kann man sie nicht beeindrucken.»
«Ich kann natürlich auch was kochen», bot ihre Mutter an. «Ich dachte mir nur, es wäre doch nett, Celies Besuch zu feiern, aber das können wir genauso gut morgen oder übermorgen machen, sobald sie
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