Böse Freundin (German Edition)
nicht bewusst gewesen, aber das stimmt wohl nicht. Ich weiß nur, dass wir nicht nach irgendeinem Plan vorgegangen sind.»
«Na, dann wart ihr wohl geborene Genies in Sachen kranke Phantasie», sagte er. «Muss ein gutes Gefühl sein, für irgendwas so eine Naturbegabung zu haben. Leanne hatte jedenfalls keine, nicht die geringste, verdammt noch mal. Ihr habt sie so gequält, dass sie richtiggehend erleichtert war, als ihr sie an dem Tag im Wald aussetzen wolltet. Dabei hättet ihr gar nicht mehr mit ihr dahin gehen müssen. Nach dem Haarschnitt war sie so hinüber, dass ihr sie sonst wo hättet hinschicken können, bis ans Ende der Welt und noch weiter.»
«Und das haben wir an dem Tag getan?», fragte Celia leise.
Er lachte. «Das war dein grandioser Plan, bloß dass er dir nicht mehr so recht gefiel, als wir dann loszogen. In irgendeinem Winkel deines mickrigen kleinen Herzens war dir klar, dass man jemanden nicht auf die Art im Wald alleinlassen darf. Aber da war es natürlich schon zu spät, weil Djuna das mit dem Wald die beste Idee fand, von der sie je gehört hatte.»
Er stand noch immer hinter dem Stuhl, den er für sich selbst herausgetragen hatte: das gleiche Modell wie der von Celia, nur kleiner, eher ein Schreibtischstuhl. Das Peddigrohr knackte wie steife alte Knochen, als der Mann die Lehne umkrampfte.
«Letzte Frage», sagte er. «Wann hat Leanne zum ersten Mal versucht, sich umzubringen?»
Celia schnappte nach Luft.
«Na los», sagte er, lauter als zuvor. «Da bin ich jetzt aber neugierig. Wissen Sie, wann Leanne zum ersten Mal versucht hat, sich das Leben zu nehmen?»
«Nein», flüsterte sie.
«Nein», wiederholte er. «Nein, das wissen Sie nicht.»
Er zog ein Feuerzeug und ein Päckchen Marlboro aus der Hemdtasche, klopfte eine Zigarette heraus und zündete sie an, den Blick auf die Straße gerichtet. Ausgepusteter Rauch waberte über die Veranda und in den Garten. Ein neuerer, schönerer Pick-up als der auf Leannes Zufahrt glitt vorbei.
«Im Sommer nach der fünften Klasse», sagte er. «Juli 1986. Sie wollte ein ganzes Fläschchen Aspirin schlucken, musste sich aber mittendrin übergeben und ist dann bewusstlos geworden. Gut, dass es in der Reihenfolge passiert ist und nicht umgekehrt. Als sie wieder zu sich kam, hat sie die Sauerei weggeputzt, und niemand hat etwas davon gemerkt. Sie hat es keiner Menschenseele erzählt.»
Celias Mund ging auf und wieder zu.
«Das ganze Schuljahr hindurch hatte sie gebetet, dass ihr zwei bestraft würdet», sagte er. «Jeden Abend vor dem Schlafengehen hat sie sich hingekniet und den lieben Gott gebeten, euch etwas Schreckliches zustoßen zu lassen. Und dann ist es passiert. Was macht man, wenn die eigenen Gebete auf die Art in Erfüllung gehen?»
«Es tut mir so leid», murmelte Celia.
«Na dann, vielen Dank», sagte er. «Danke, Celia Durst, dass es dir leidtut.»
Celia dachte an die Geburtstagsfeier, an das kleine Wohnzimmer und die Fotos der beiden Mädchen, die einen Wimpernschlag lang Schwestern gewesen waren.
«Du –», setzte sie an. Sie konnte ihm nicht mehr so in die Augen sehen wie vorher und schämte sich dafür – eine letzte, nicht wiedergutzumachende Kränkung.
Er kam auf sie zu, blieb vor ihr stehen und sah zu ihr herunter. Sie presste sich an den Stuhl. Die Augen waren haargenau die gleichen.
«Ich bin dir nichts schuldig, gar nichts», zischte er. «Du gehörst nicht zur Familie und weiß Gott nicht zu meinen Freunden. Du, Celia Durst, bist nur eins der vielen, vielen Dinge in meinem Leben, die ich hinter mir gelassen habe.»
Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus, drehte sich um und ging zurück zur Haustür.
«Nachdem du gut hergefunden hast, brauche ich dir den Rückweg ja nicht zu beschreiben», sagte er und zog die Tür auf. «Aber eins sage ich dir: Wenn du Lee etwas Gutes tun willst, dann empfehle ich dir dringend, dich für den Rest deines Lebens fernzuhalten. Und wenn du im nächsten Leben als Wanze oder Küchenschabe wiedergeboren wirst, dann sieh zu, dass du Lee nicht unter die Sohlen kommst. So, jetzt verschwinde und lass dich hier nicht wieder blicken.»
Die Fliegentür fiel hinter ihm zu. Celia hörte seine Schritte im Haus und dann nichts mehr.
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21. Kapitel
Huck wechselte auf Celias Matratzenseite. Im Traum hatte er einen Streit nach dem anderen durchlebt; er war völlig gerädert, als das Quietschen des Bettes ihn morgens weckte. Bis er ein «Komm her» zustande
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