Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
ausgepackt, aus dem die Sachen bei Bedarf herausgeholt wurden. Er holte vom Boden des Koffers einen Kasten aus Palmenholz hervor, der innen mit rotem Samt ausgeschlagen war, und entnahm ihm ein Paar bildschöner, außerordentlich teurer Pistolen.
»Alles da: Pulver, Kugeln, Patronen. Ich habe auch einen Colt; warten Sie.«
Er stöberte wieder in dem Koffer und brachte einen zweiten Kasten mit einem sechsläufigen amerikanischen Revolver zum Vorschein.
»Sie haben ziemlich viele Waffen, und zwar sehr teure.«
»Sehr. Außerordentlich.«
Der mittellose, beinahe bettelarme Kirillow, dem übrigens seine Armut nie zum Bewußtsein kam, zeigte jetzt, sichtlich voller Besitzerstolz, seine Kostbarkeiten vor, die zweifellos unter außerordentlichen Opfern erworben worden waren.
»Sie haben immer noch dieselben Gedanken?« fragte Stawrogin nach minutenlangem Schweigen und mit einiger Vorsicht.
»Dieselben Gedanken«, antwortete kurz angebunden Kirillow, der an der Stimme sofort erraten hatte, wonach er gefragt wurde, und begann, die Waffen vom Tisch zu räumen.
»Und wann?« erkundigte sich Nikolaj Wsewolodowitsch noch vorsichtiger, wiederum nach einigem Schweigen.
Inzwischen hatte Kirillow beide Kästen wieder in dem Koffer verstaut und sich auf seinen alten Platz gesetzt.
»Hängt nicht von mir ab, wie Sie wissen; wenn mir gesagt wird«, murmelte er, als fühle er sich durch diese Frage einigermaßen belästigt, aber zugleich mit sichtbarer Bereitschaft, auf alle weiteren Fragen einzugehen. Er sah Stawrogin aus seinen schwarzen, glanzlosen Augen unverwandt an, irgendwie ruhig, aber wohlwollend und freundlich.
»Sich erschießen, das verstehe ich, natürlich«, begann Nikolaj Wsewolodowitsch stirnrunzelnd nach einem langen, dreiminütigen nachdenklichen Schweigen. »Ich stelle es mir manchmal auch selbst vor, und dabei ist immer der neue Gedanke: Wie, wenn man einen Frevel beginge oder, noch schlimmer, eine Schändlichkeit, das heißt etwas Schmähliches, vor allem sehr Gemeines und … Lächerliches, etwas, woran die Menschen tausend Jahre denken müßten und tausend Jahre ausspucken, und dann plötzlich der Gedanke: ›Ein Schlag an die Schläfe, und es ist nichts mehr‹, was gingen einen dann die Menschen an und daß sie tausend Jahre ausspucken, nicht wahr?«
»Sie nennen das einen neuen Gedanken?« fragte Kirillow nach einigem Überlegen.
»Ich … nenne nicht … als ich das einmal dachte, fühlte ich einen ganz neuen Gedanken.«
»Sie ›fühlten einen Gedanken‹?« wiederholte Kirillow. »Das ist gut. Es gibt viele Gedanken, die schon immer da waren und die plötzlich neu werden. Ist richtig. Jetzt sehe ich vieles wie zum ersten Mal.«
»Gesetzt den Fall, Sie lebten auf dem Mond«, unterbrach ihn Stawrogin, der nicht zuhörte und seinen Gedanken verfolgte, »und Sie hätten dort, gesetzt den Fall, alle diese lächerlichen Niederträchtigkeiten begangen … Sie wissen mit Bestimmtheit, von hier aus gesehen, daß man Sie dort verhöhnen und Ihren Namen bespucken wird, tausend Jahre lang, ewig, solange es den Mond gibt. Aber jetzt sind Sie hier und sehen den Mond von hier aus: Was schert Sie hier all das, was Sie dort begangen haben, und daß die Dortigen Sie tausend Jahre lang anspucken werden, nicht wahr?«
»Weiß nicht«, antwortete Kirillow, »bin nicht auf dem Mond gewesen«, fügte er hinzu, ohne jede Ironie, einzig und allein, um die Tatsache festzustellen.
»Wessen Kind war das eben?«
»Der Alten ihre Schwiegermutter ist gekommen; nein, ihre Schnur … läuft aufs selbe hinaus. Seit drei Tagen liegt sie im Bett, krank, mit dem Kind; in der Nacht schreit sie laut, oft, Bauchschmerzen. Wenn die Mutter schläft, bringt die Alte es hierher; ich spiele Ball. Der Ball ist aus Hamburg. Ich habe ihn in Hamburg gekauft, um zu werfen und zu fangen: Stärkt den Rücken. Ein Mädchen.«
»Sie lieben Kinder?«
»Ich liebe sie«, antwortete Kirillow, allerdings ziemlich gleichgültig.
»Dann lieben Sie also auch das Leben?«
»Ja, ich liebe auch das Leben, warum?«
»Weil Sie doch beschlossen haben, sich zu erschießen.«
»Ja, und? Wieso gehört das zusammen? Das Leben ist für sich, und das andere ist auch für sich. Das Leben ist, und der Tod ist nicht.«
»Sie glauben jetzt an ein künftiges ewiges Leben?«
»Nein, nicht an ein künftiges ewiges, sondern an das hiesige ewige Leben. Es gibt Augenblicke, man kommt zu diesen Augenblicken, und die Zeit bleibt plötzlich stehen und wird
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