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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Ewigkeit.«
    »Sie hoffen, zu diesem Augenblick zu kommen?«
    »Ja.«
    »Das ist in unseren Tagen kaum möglich«, meinte Nikolaj Wsewolodowitsch, ebenfalls ohne jede Ironie, langsam und wie in Gedanken versunken. »In der Apokalypse verheißt der Engel, daß keine Zeit mehr sein wird.«
    »Ich weiß. Das ist dort sehr richtig; deutlich und genau. Wenn der ganze Mensch das Glück erlangt, wird keine Zeit mehr sein, weil sie nicht mehr nötig ist. Sehr richtiger Gedanke.«
    »Und wo tut man sie hin?«
    »Nirgendwohin. Die Zeit ist kein Ding, sondern eine Idee. Sie wird in den Köpfen erlöschen.«
    »Alte philosophische Gemeinplätze, immer dieselben seit Anfang der Welt«, murmelte Stawrogin mit einer Art widerwilligen Bedauerns.
    »Immer dieselben! Immer dieselben seit Anfang der Welt, und keine anderen, niemals!« bestätigte Kirillow mit funkelndem Blick, als läge in dieser Idee fast ein Triumph.
    »Sie scheinen sehr glücklich, Kirillow?«
    »Ja, sehr glücklich«, antwortete dieser, als wäre diese Antwort das Alltäglichste von der Welt.
    »Aber Sie haben sich doch erst vor kurzem so erregt und sich über Liputin geärgert?«
    »Hm … ich zürne jetzt nicht mehr. Wußte damals noch nicht, daß ich glücklich bin. Haben Sie ein Blatt gesehen? Ein Laubblatt?«
    »Habe ich.«
    »Ich sah vor kurzem ein gelbes, ganz wenig Grün, schon vermoderte Ränder. Flog im Wind. Als ich zehn war, machte ich im Winter absichtlich die Augen zu, um mir ein Blatt vorzustellen, ein grünes, frisches, mit feinen Adern und Sonnenglanz. Ich machte die Augen auf und traute ihnen nicht, weil es so schön gewesen war, und machte sie wieder zu.«
    »Was ist das, eine Allegorie?«
    »N-nein … Wieso? Keine Allegorie, ein Blatt, ein einzelnes Blatt. Ein Blatt ist gut. Alles gut.«
    »Alles?«
    »Alles. Der Mensch ist unglücklich, weil er nicht weiß, daß er glücklich ist; nur deshalb. Das ist alles, alles! Wer das begreift, wird sofort, auf der Stelle, glücklich sein, im selben Augenblick. Diese Schwiegermutter wird sterben, das Mädchen aber bleiben – und alles gut. Habe plötzlich entdeckt.«
    »Aber wenn jemand verhungert, wenn jemand das Mädchen mißbraucht und entehrt – ist das gut?«
    »Gut. Und wenn ein anderer ihm den Schädel einschlägt wegen des Kindes, ist auch gut; und wenn ihm keiner den Schädel einschlägt, ist auch gut. Alles gut, alles. Alles ist denen gut, die wissen, daß alles gut ist. Wenn sie wüßten, daß ihnen gut ist, wäre ihnen gut, aber solange sie nicht wissen, daß ihnen gut ist, wird ihnen nicht gut sein. Das ist der ganze Gedanke, der ganze, einen anderen gibt es nicht!«
    »Und wann haben Sie entdeckt, daß Sie so glücklich sind?«
    »Letzte Woche Dienstag, nein, Mittwoch, weil es schon Mittwoch war, nach Mitternacht.«
    »Und was war der Anlaß?«
    »Weiß nicht, einfach so; ging im Zimmer auf und ab und … ganz egal. Habe die Uhr angehalten, siebenunddreißig Minuten nach zwei.«
    »Als Emblem dafür, daß die Zeit stehenbleiben muß?« Kirillow schwieg.
    »Sie sind nicht gut«, begann er plötzlich von neuem, »weil sie nicht wissen, daß sie gut sind. Wenn sie das entdecken, werden sie kein kleines Mädchen mißbrauchen. Sie müssen entdecken, daß sie gut sind, und alle werden sofort gut sein, ausnahmslos alle.«
    »Sie haben es doch entdeckt, also sind Sie gut?«
    »Ich bin gut.«
    »Damit bin ich übrigens einverstanden«, murmelte Stawrogin stirnrunzelnd.
    »Wer lehren wird, daß alle gut sind, der wird die Welt vollenden.«
    »Einer lehrte es, der wurde gekreuzigt.«
    »Er wird kommen, und sein Name ist Menschgott.«
    »Gottmensch?«
    »Menschgott, das ist der Unterschied.«
    »Zünden Sie etwa auch das Ewige Licht an?«
    »Ja, ich habe angezündet.«
    »Sind Sie jetzt gläubig?«
    »Die Alte mag, wenn das Ewige Licht … heute hatte sie keine Zeit«, murmelte Kirillow.
    »Aber Sie beten noch nicht?«
    »Ich bete zu allem. Sehen Sie da, eine Spinne krabbelt an der Wand. Ich sehe sie und bin ihr dankbar, daß sie krabbelt.«
    Seine Augen begannen von neuem zu glimmen. Er sah Stawrogin immer noch unverwandt an, mit festem und starrem Blick. Stawrogin beobachtete ihn widerwillig und mit gerunzelten Brauen, aber in seinem Blick lag kein Spott.
    »Wetten, daß Sie, wenn ich wiederkomme, auch schon an Gott glauben?« sagte er, erhob sich und ergriff seinen Hut.
    »Warum?« Kirillow erhob sich ebenfalls.
    »Wenn Sie entdeckt hätten, daß Sie an Gott glauben, dann glaubten Sie, aber

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