Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Wsewolodowitsch.
Darauf meldete Alexej Jegorowitsch, sie wäre erst gestern geölt worden, »desgleichen heute«. Inzwischen war er naß bis auf die Haut. Nachdem er die Pforte aufgeschlossen hatte, reichte er den Schlüssel Nikolaj Wsewolodowitsch.
»Sollten Sie geruhen, einen weitentfernten Weg vorzuhaben, dann melde ich, daß dem hiesigen Volk nicht zu trauen ist, zumal in den abgelegenen Gassen, insbesondere auf dem jenseitigen Ufer.« Wiederum konnte er sich nicht beherrschen. Er war ein alter Diener, Nikolaj Wsewolodowitschs ehemaliger Wärter, der ihn auf seinen Armen getragen hatte, ein ernster und strenger Mann, der es liebte, Gottgefälliges zu hören und zu lesen.
»Mach dir keine Sorgen, Alexej Jegorowitsch.«
»Gott segne Sie, Herr, aber bloß beim Vollbringen guter Werke.«
»Wie?« Nikolaj Wsewolodowitsch blieb stehen, obwohl er die Schwelle überschritten hatte und sich bereits auf der Gasse befand.
Alexej Jegorowitsch wiederholte mit fester Stimme seinen Wunsch; niemals hätte er es früher gewagt, ihn mit solchen Worten im Angesicht seines Herrn laut zu äußern.
Nikolaj Wsewolodowitsch schloß die Pforte ab, steckte den Schlüssel in die Tasche und ging die Gasse hinunter, wobei er bei jedem Schritt drei Werschok tief in den Schlamm einsank. Endlich erreichte er eine lange menschenleere Straße, die gepflastert war. Er kannte die Stadt wie seine eigenen fünf Finger; aber bis zur Bogojawlenskaja-Straße hatte er noch weit zu gehen. Zehn Uhr war bereits vorüber, als er endlich vor dem verschlossenen Tor des dunklen, alten Hauses von Filippow stand. Das untere Stockwerk war jetzt, seit Lebjadkins ausgezogen waren, gänzlich unbewohnt, die Fenster waren vernagelt, aber im Dachgeschoß bei Schatow brannte Licht. Da eine Glocke fehlte, schlug er mit der Faust gegen das Tor. Ein kleines Fenster ging auf, und Schatow schaute auf die Straße hinunter; es war stockdunkel und gar nicht so einfach, jemand zu erkennen; Schatow konnte lange nichts erkennen, fast eine Minute.
»Sind Sie es?« fragte er plötzlich.
»Ich«, antwortete der unverhoffte Besucher.
Schatow schlug das Fenster zu, kam herunter und schloß das Tor auf. Nikolaj Wsewolodowitsch trat über die hohe Schwelle und ging an ihm vorbei, ohne ein Wort zu sagen, geradewegs in das Hinterhaus zu Kirillow.
V
HIER war nichts abgeschlossen und sogar nichts angelehnt. Der Flur und die ersten beiden Zimmer lagen im Dunkeln, aber das letzte, in dem Kirillow wohnte und seinen Tee trank, war hell erleuchtet, man hörte von dort Lachen und irgendwelche seltsamen Laute. Nikolaj Wsewolodowitsch folgte dem Lichtschein, blieb aber, ohne einzutreten, auf der Schwelle stehen. Das Teegeschirr war auf dem Tisch. Mitten im Zimmer stand eine alte Frau, die Verwandte des Hausbesitzers, mit unbedecktem Haar, nur mit Rock und einer Hasenfellweste bekleidet und mit Schnürstiefeln an den bloßen Füßen. Sie hielt auf dem Arm ein etwa anderthalb Jahre altes Kind, im bloßen Hemdchen, mit nackten Beinchen, glühend roten Wangen und weißblondem verwirrtem Haar, das man wohl soeben aus der Wiege geholt hatte. Es mußte vor kurzem geweint haben, sein Gesichtchen war noch tränennaß. Aber in diesem Augenblick streckte es die Ärmchen aus, klatschte in die Hände und lachte, wie kleine Kinder zu lachen pflegen, die sich dabei verschlucken. Kirillow ließ vor ihm einen großen roten Gummiball auf dem Boden tanzen; der Ball sprang bis an die Decke, schlug wieder auf dem Boden auf, und das Kind rief: »Balla, Balla!« Kirillow fing den »Balla« auf und reichte ihn dem Kind, und das Kleine warf ihn dann selbst mit seinen ungeschickten Händchen, worauf Kirillow hinterherlief, um ihn zu holen. Schließlich rollte der Ball unter den Schrank. »Balla, Balla!« schrie das Kind. Kirillow legte sich flach auf den Boden und streckte sich, um den Ball unter dem Schrank hervorzuholen. Nikolaj Wsewolodowitsch trat in das Zimmer. Das Kind sah ihn, schmiegte sich an die Alte und brach in Tränen aus, wobei es, wie alle Kinder, ganz lange einen Ton aushielt; sie trug es sogleich hinaus.
»Stawrogin?« sagte Kirillow, indem er sich mit dem Ball in der Hand aufrichtete, ohne sich im geringsten über den unerwarteten Besuch zu wundern. »Wollen Sie Tee?«
Und er erhob sich.
»Gern, ich sage nicht nein, wenn er nur warm ist«, sagte Nikolaj Wsewolodowitsch, »ich bin bis auf den letzten Faden durchnäßt.«
»Warm, sogar heiß«, beteuerte Kirillow voller Genugtuung, »nehmen Sie
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