Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
ist, Nikolaj Wsewolodowitsch, aber ich glaube Ihnen nicht … ich werde eine Klage einreichen.«
»Sie sind phänomenal dumm, Hauptmann.«
»Mag sein, aber das ist das einzige, was mir übrigbleibt!« Der Hauptmann war nun völlig verwirrt. »Früher hat man uns für ihre Hausarbeit dort in den Spelunken wenigstens Obdach gewährt, aber jetzt, was soll jetzt werden, wenn Sie mich ganz fallenlassen?«
»Sie hatten doch ohnehin vor, nach Petersburg zu reisen, um die Karriere zu wechseln. Stimmt das übrigens, ich habe gehört, daß Sie mit einer Anzeige hinzufahren gedenken, in der Hoffnung auf eine Begnadigung, wenn Sie alle anderen denunzieren?«
Der Hauptmann riß Mund und Augen auf.
»Passen Sie auf, Hauptmann«, begann Stawrogin außerordentlich ernst, wobei er sich über den Tisch beugte. Bis jetzt hatten seine Worte irgendwie zweideutig geklungen, so daß Lebjadkin nach seinen Erfahrungen als Hofnarr bis zum letzten Augenblick immer noch ein ganz klein wenig unsicher war: Zürnt sein Herr im Ernst, oder macht er sich über ihn lustig, hat er wirklich die verrückte Absicht, seine Ehe bekanntzugeben, oder ist das Ganze nur ein Spaß? Jetzt aber war die strenge Miene Nikolaj Wsewolodowitschs so überzeugend, daß dem Hauptmann sogar ein kalter Schauer über den Rücken lief. »Passen Sie auf, und sagen Sie die Wahrheit, Lebjadkin: Haben Sie schon irgendeine Anzeige erstattet oder noch nicht? Ist es Ihnen wirklich schon gelungen, etwas zu unternehmen? Haben Sie vielleicht aus lauter Dummheit einen Brief irgendwohin geschickt?«
»Nein, nein, es ist mir noch nichts gelungen, und … und ich habe auch nichts derartiges vorgehabt«, antwortete der Hauptmann mit starrem Blick.
»Nun, Sie lügen, wenn Sie sagen, Sie hätten nichts vorgehabt. Deshalb zieht es Sie ja nach Petersburg. Wenn Sie noch nicht geschrieben haben, so haben Sie vielleicht über irgend etwas vor irgend jemand hier nicht den Mund gehalten? Sagen Sie die Wahrheit, mir ist einiges zu Ohren gekommen.«
»Im Zustand der Trunkenheit, vor Liputin. Liputin ist ein Verräter. Ich habe ihm mein Herz ausgeschüttet«, flüsterte der arme Hauptmann.
»Herz hin, Herz her, trotzdem sollte man kein Dummkopf sein. Wenn Sie schon diese Absicht haben, so sollten Sie sie für sich behalten; kluge Menschen schweigen heutzutage, statt zu reden.«
»Nikolaj Wsewolodowitsch!« Der Hauptmann begann zu zittern. »Sie waren doch persönlich nie dabei, ich habe doch nicht Sie …«
»Natürlich haben Sie die Kuh, die Sie melken, nicht anzeigen wollen.«
»Nikolaj Wsewolodowitsch, bedenken Sie, bedenken Sie doch …!« Verzweifelt und unter Tränen begann der Hauptmann überstürzt von seinen letzten vier Jahren zu berichten. Es war die unüberbietbar dumme Geschichte eines Narren, der sich auf ein Abenteuer eingelassen hatte, das nicht seine Sache war und von dessen Tragweite er bis zum letzten Augenblick so gut wie keine Ahnung hatte, vor lauter Feiern und Saufen. Er erzählte, daß er schon in Petersburg sich »anfangs habe verleiten lassen, einfach aus Freundschaft, als treuer Student, obwohl er gar kein Student war«, ahnungslos, »keiner Schuld sich bewußt«, alle möglichen Zettel in Treppenhäusern verteilt, dutzendweise vor die Wohnungstüren gelegt, hinter Glockenzüge geklemmt, statt Zeitungen unter die Türen geschoben, ins Theater getragen und in Hüte und Manteltaschen gesteckt habe. Dann habe er auch Geld von ihnen erhalten, »alldieweil meine Mittel, was heißt schon Mittel!« In zwei Gouvernements habe er »allen möglichen Quatsch« in verschiedenen Kreisen verteilt. »Ach, Nikolaj Wsewolodowitsch!« rief er immer wieder aus. »Ich war am meisten darüber aufgebracht, daß alles sämtlichen bürgerlichen und vor allem den vaterländischen Gesetzen zuwiderläuft! Plötzlich steht da gedruckt, man soll mit Mistgabeln ausrücken und immer daran denken, daß einer, der morgens als Hungerleider auszieht, abends als reicher Mann nach Hause kommt – stellen Sie sich das vor! Mich überkommt Zittern und Zagen, aber ich kann das Verteilen nicht lassen. Oder plötzlich fünf, sechs Zeilen an ganz Rußland, wie aus heiterem Himmel: ›Schließt die Kirchen! Nieder mit Gott! Brecht die Ehe! Nieder mit dem Erbrecht! An die Messer!‹ und so weiter, weiß der Teufel, was noch alles! Und gerade mit diesen Zetteln, mit den fünf Zeilen, hat es mich beinahe erwischt, die Regimentsoffiziere haben mich verprügelt, aber doch, vergelt’s ihnen Gott,
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