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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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haben Ihr ganzes Leben lang immer nur Scharfsinn um sich verstreut – und die anderen? Soll doch ein Liputin, soll doch ein Pjotr Stepanowitsch wenigstens etwas Ähnliches von sich geben! Oh, wie grausam hat mich Pjotr Stepanowitsch behandelt! …«
    »Aber Sie, Hauptmann, wie haben Sie sich eigentlich aufgeführt?«
    »Versoffene Visage und außerdem eine Legion Feinde! Aber jetzt ist alles, alles vorbei, und ich werde mich erneuern wie eine Schlange. Nikolaj Wsewolodowitsch, wissen Sie, daß ich mein Testament schreibe und daß ich es schon geschrieben habe?«
    »Interessant! Und was vermachen Sie und wem?«
    »Dem Vaterland, der Menschheit und den Studenten. Nikolaj Wsewolodowitsch, ich habe in den Zeitungen eine Biographie über einen Amerikaner gelesen. Er vermachte sein ganzes riesiges Vermögen den Fabriken und positiven Wissenschaften, sein Skelett den Studenten der dortigen Akademie, und seine Haut für eine Trommel, damit auf dieser Trommel Tag und Nacht die amerikanische Nationalhymne getrommelt werden sollte. Leider, leider sind wir Pygmäen, verglichen mit dem Gedankenflug der nordamerikanischen Staaten; Rußland ist ein Spiel der Natur, aber nicht der Vernunft. Wollte ich meine Haut für eine Trommel vermachen, zum Beispiel dem Akmolinskij-Infanterieregiment, in dem ich meinen Dienst zu beginnen die Ehre hatte, damit tagtäglich vor dem Regiment die russische Nationalhymne getrommelt werden soll, dann würde man das für Liberalismus halten, meine Haut verbieten und … deshalb beschränke ich mich auf die Studenten. Ich will mein Skelett der Akademie vermachen, aber unter der Bedingung, daß auf seiner Stirn für alle Ewigkeit ein Schild klebt, auf dem geschrieben steht: ›Reuiger Freidenker.‹ So ist es!«
    Der Hauptmann hatte mit großem Feuer geredet und war inzwischen selbst von der Schönheit des amerikanischen Testaments überzeugt, aber er war auch ein Schlitzohr, und ihm lag ebensoviel daran, Nikolaj Wsewolodowitsch, bei dem er früher lange die Rolle des Hofnarren gespielt hatte, zum Lachen zu bringen. Dieser aber lächelte nicht einmal, sondern fragte im Gegenteil irgendwie mißtrauisch:
    »Sie haben also die Absicht, Ihr Testament bei Lebzeiten zu veröffentlichen und dafür belohnt zu werden?«
    »Und wenn’s so wäre, Nikolaj Wsewolodowitsch, und wenn’s so wäre?« Lebjadkin warf ihm einen vorsichtigen Blick zu. »Denn was hab’ ich schon für ein Schicksal! Sogar mit den Gedichten ist es aus, dabei gab es eine Zeit, als auch Sie, Nikolaj Wsewolodowitsch, an meinen Gedichten Gefallen fanden, erinnern Sie sich noch, beim Fläschchen? Aber die Feder ist tot, ich habe nur noch ein einziges Gedicht geschrieben, wie weiland Gogol seine ›Letzte Erzählung‹, wissen Sie, wie er Rußland verkündete, sie habe sich aus seiner Brust herausgesungen . Ich bin genauso, ich habe gesungen, und basta.«
    »Was für ein Gedicht?«
    »›Für den Fall, daß sie sich das Bein gebrochen hätte‹!«
    »Wie?«
    Das war es, worauf der Hauptmann gewartet hatte. Seine Gedichte bewunderte und schätzte er selbst über alle Maßen, aber das Schlitzohr in seiner Seele fand ebensoviel Vergnügen darin, daß Nikolaj Wsewolodowitsch sich früher über seine Gedichte stets amüsiert und sich vor Lachen manches Mal die Seiten gehalten hatte. Auf diese Weise wurden zwei Ziele auf einen Schlag erreicht – das poetische und das geschäftliche; aber jetzt gab es da noch ein drittes, ganz spezielles und sehr delikates Ziel: Der Hauptmann gedachte, indem er das Gedicht in den Vordergrund rückte, sich in einem bestimmten Punkt zu rechtfertigen, einem Punkt, den er aus irgendeinem Grund als für sich besonders gefährlich erachtete und in dem seine Schuldgefühle besonders heftig waren.
    »›Für den Fall, daß sie sich das Bein gebrochen hätte‹, das heißt in dem Fall des Reitens. Nichts als Phantasie, Nikolaj Wsewolodowitsch, ein Phantasietraum, aber der Phantasietraum eines Dichters: Eines Tages traf es mich wie ein Blitz, als ich der Reiterin begegnete und mir die materielle Frage stellte: ›Was wäre, wenn?‹, das heißt in einem solchen Falle. Klare Sache: Alle Verehrer treten den Rückzug an, alle Freier verschwinden. Morgen früh alles perdüh, nur der Dichter bliebe treu, mit einem in der Brust zertretenen Herzen. Nikolaj Wsewolodowitsch, sogar eine Laus, sogar sie, darf sich verlieben, und es gibt kein Gesetz, das es ihr verbietet. Die Person jedoch fühlte sich gekränkt, sowohl durch meinen

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