Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
es unter der Jugend: ›Herzens höchst persönliche Meinung von mir‹, sozusagen.«
»Ja, ja, ja«, endlich zog Lembke den entscheidenden Schluß, »genau das war es, was ich dachte: Proklamation – das ist verständlich, aber wozu ein Gedicht?«
»Aber wie sollten Sie das nicht durchschauen! Zum Teufel, warum habe ich bloß all das vor Ihnen ausgebreitet! Hören Sie, geben Sie mir Schatow, und zur Hölle mit allen anderen. Sogar mit Kirillow, der sich jetzt im Haus Filippow eingeschlossen hat, zusammen mit Schatow, und in Deckung gegangen ist. Sie mögen mich nicht, weil ich zurückgekommen bin … Aber versprechen Sie mir Schatow, und ich werde sie Ihnen alle auf dem Tablett servieren. Sie werden mich brauchen, Andrej Antonowitsch! Ich veranschlage dieses erbärmliche Häufchen auf neun bis zehn Mann, und ich beobachte sie selbst, von mir aus. Drei sind bereits bekannt: Schatow, Kirillow und jener Sous-Lieutenant, die anderen observiere ich nur erst … kurzsichtig bin ich allerdings nicht. Es ist wie im Gouvernement Ch…; dort wurden zwei Studenten mit Proklamationen überführt und festgenommen, ein Gymnasiast, außerdem zwei zwanzigjährige Adlige, ein Lehrer und ein Major a. D., um die sechzig, versoffen und verblödet, das war alles, glauben Sie mir, das war alles; man war sogar verblüfft, daß das alles war. Aber ich brauche nur sechs Tage. Ich habe es überschlagen; sechs Tage und keinesfalls weniger. Wenn Sie ein befriedigendes Resultat wollen, schrecken Sie sie die nächsten sechs Tage nicht auf. Dann werde ich sie alle im Bündel präsentieren; wenn Sie sie dagegen aufschrecken, dann ist das Nest leer. Aber geben Sie mir Schatow. Schatows wegen habe ich … Am besten wäre es, ihn vertraulich und freundschaftlich kommen zu lassen, meinetwegen hierher, in dieses Kabinett, um ihn zu examinieren, nachdem man den Vorhang vor ihm gelüftet hat … Darauf wird er Ihnen wahrscheinlich von selbst zu Füßen fallen und in Tränen ausbrechen! Er ist ein nervöser, unglücklicher Mensch; seine Frau hatte ein Verhältnis mit Stawrogin. Seien Sie nett zu ihm, und er wird Ihnen die Karten auf den Tisch legen, aber man braucht sechs Tage … Und vor allem, vor allem – nicht eine Silbe zu Julija Michajlowna. Geheimnis. Können Sie ein Geheimnis für sich behalten?«
»Wie bitte?« Lembke riß die Augen auf. »Haben Sie etwa Julija Michajlowna nichts … mitgeteilt?«
»Ihr? Gott bewahre! Aber Andrej Antonowitsch! Sehen Sie: Ich schätze ihre Freundschaft über alles, und ich verehre sie außerordentlich … und so weiter, und so weiter … Aber ich setze mich nicht in die Nesseln. Ich widerspreche ihr nicht, weil es, wie Sie ja selbst wissen, nicht ungefährlich ist, ihr zu widersprechen. Vielleicht habe ich, en passant, dies oder jenes fallenlassen, aber irgendwelche Namen oder ähnliches, wie jetzt in unserem Gespräch, vor ihr preisgeben – ich bitte Sie! Warum wende ich mich in einem solchen Augenblick ausgerechnet an Sie? Weil Sie immerhin ein Mann sind, ein ernstzunehmender Mensch, mit einer in Jahren bewährten Erfahrung im Amt. Sie haben die verschiedensten Erfahrungen gemacht. Sie müssen jeden Schritt in solchen Fällen in- und auswendig kennen, schon seit Petersburg. Und hätte ich ihr, zum Beispiel, diese beiden Namen genannt, würde sie es sofort an die große Glocke hängen … Denn sie hat sich vorgenommen, von hier aus Petersburg in Erstaunen zu versetzen. Nein, o nein, sie ist viel zu temperamentvoll, das ist es.«
»Ja, in ihr ist etwas von einer Fougasse «, murmelte Andrej Antonowitsch nicht ganz ohne Befriedigung, gleichzeitig aber voll tiefen Bedauerns, daß dieser Grobian es sich erlaubte, so ungeniert über Julija Michajlowna zu reden. Pjotr Stepanowitsch glaubte anscheinend, daß dies immer noch nicht genüge und daß er noch mehr Dampf geben müsse, um »Lembka« zu schmeicheln und ihn sich vollends gefügig zu machen.
»Von einer Fougasse, genau«, pflichtete er bei, »mag sie eine geniale Frau sein, eine literarische, aber – sie verscheucht die Spatzen. Keine sechs Stunden würde sie es aushalten, geschweige denn sechs Tage. O je, Andrej Antonowitsch, bürden Sie nie einer Frau eine Frist von sechs Tagen auf! Sie müssen mir doch einige Erfahrung zubilligen, das heißt in solchen Angelegenheiten; ich weiß doch einiges, und Sie wissen auch, daß ich einiges wissen kann. Ich bitte Sie um diese sechs Tage nicht zum eigenen Vergnügen, sondern der Sache
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