Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
uninformiert … Hm, Stawrogin – das ist das reine Gegenteil, das heißt ganz und gar … Avis au lecteur !«
»Ist das möglich?« fragte Lembke skeptisch. »Julija Michajlowna hat mir gesagt, daß er nach ihren Informationen aus Petersburg ein Mensch mit gewissen, sozusagen, Aufträgen sei.«
»Keine Ahnung, keine Ahnung, überhaupt keine Ahnung. Adieu! Avis au lecteur!« Plötzlich wich Pjotr Stepanowitsch sichtlich aus.
Und er flog gleichsam zur Tür.
»Erlauben Sie, Pjotr Stepanowitsch, erlauben Sie!« rief ihm Lembke nach. »Noch eine Kleinigkeit, dann möchte ich Sie nicht länger aufhalten.«
Er nahm ein Couvert aus der Tischschublade.
»Hier ist noch ein hübsches Exemplar von derselben Kategorie, und ich beweise Ihnen damit, daß ich Ihnen im höchsten Grade vertraue. Hier, was halten Sie davon?«
Das Couvert enthielt einen Brief, einen sonderbaren anonymen Brief, der an Lembke adressiert und erst gestern in seine Hände gelangt war. Pjotr Stepanowitsch las, zu seinem größten Ärger, folgendes:
Euer Exzellenz!
Derweil Sie es dem Range nach sind. Hiermit melde ich ein Attentat auf das Leben von Generalspersonen und des Vaterlandes; derweil alles darauf hinausläuft. Habe selbst jahrelang ununterbrochen verteilt. Gleichermaßen Gottlosigkeit. Ein Aufstand wird vorbereitet, Tausende von Proklamationen, hinter jeder werden hundert Menschen herlaufen, mit hängender Zunge, wenn die Behörden nicht beizeiten eingreifen, derweil eine Unzahl von Belohnungen in Aussicht gestellt sind, das einfache Volk aber dumm ist, vom Wodka abgesehen. Das Volk, nach dem Schuldigen suchend, vergreift sich an dem einen wie dem anderen, und beide Seiten fürchtend, bereue ich, woran ich nicht beteiligt war, derweil meine Verhältnisse sind, wie sie sind. Wenn Exzellenz eine Anzeige zur Errettung des Vaterlandes, der Kirchen und Ikonen wünschen, bin ich der einzige, der es kann. Aber unter der Bedingung, daß die Dritte Abteilung mir unverzüglich durch den Telegraphen eine Begnadigung zukommen läßt, und zwar mir als einzigem, die anderen aber müssen zahlen. Jeden Abend um sieben Uhr soll am Fenster des Portiers eine Kerze brennen. Wenn ich dieselbe sehe, schöpfe ich Vertrauen und komme, um die barmherzige Hand aus der Metropole zu küssen, aber nur gegen Pension, derweil ich nicht weiß, wie mein Leben bestreiten. Sie aber werden nicht bereuen, denn ein Orden ist Ihnen sicher, nur sachte, sonst drehen sie einem den Hals um.
Euer Exzellenz verzweifelter Mensch wirft sich zu Dero Füßen reuiger Freidenker INCOGNITO.
Von Lembke erklärte, der Brief müsse gestern in die Portiersloge gelegt worden sein, als der Portier sich gerade entfernt hätte.
»Was halten Sie davon?« fragte Pjotr Stepanowitsch beinahe grob.
»Ich möchte annehmen, daß es ein anonymes Pasquill ist, zu Hohn und Spott.«
»Das wird es wohl sein, sehr wahrscheinlich. Ihnen macht niemand so leicht etwas vor.«
»Ich glaube das vor allem, weil es so dumm ist.«
»Haben Sie hier auch sonst schon Pasquille erhalten?«
»Zwei oder drei vielleicht, anonym.«
»Versteht sich, daß keiner seine Unterschrift daruntersetzt. Verschiedener Stil? Verschiedene Handschrift?«
»Verschiedener Stil und verschiedene Handschrift.«
»Auch närrische dabei, wie dieses?«
»Ja, närrische und, wissen Sie … ganz abscheuliche.«
»Wenn Sie also schon mal derlei bekommen haben, wird es auch diesmal wahrscheinlich dasselbe sein.«
»Vor allem, weil es so dumm ist. Denn jene sind gebildete Menschen und würden bestimmt niemals so dumm schreiben.«
»Gewiß, gewiß.«
»Aber wie, wenn jemand tatsächlich eine Anzeige erstatten wollte?«
»Ganz unwahrscheinlich«, entschied Pjotr Stepanowitsch trocken, »was soll dieses Telegramm aus der Dritten Abteilung und diese Pension? Ganz offensichtlich ein Pasquill.«
»Ja, ja«, bestätigte Lembke verlegen.
»Wissen Sie was, lassen Sie mir diesen Brief. Ich werde den Schreiber ganz bestimmt für Sie finden. Noch bevor ich die anderen finde.«
»Nehmen Sie ihn«, willigte Lembke ein, allerdings nach einigem Zögern.
»Haben Sie ihn schon irgend jemand gezeigt?«
»Nein, wie sollte ich, niemandem!«
»Ich meine, Julija Michajlowna?«
»Gott bewahre! Um Gottes willen, Sie dürfen ihn ihr auch nicht zeigen!« rief Lembke erschrocken aus. »Das würde sie erschüttern … Und sie würde sich über mich furchtbar aufregen.«
»Natürlich, Sie würden als erster alles abkriegen, und sie wird sagen, Sie seien
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