Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
selbst schuld, wenn man in diesem Ton an Sie schreibt. Weiberlogik, kennen wir. Also, leben Sie wohl. Ich werde Ihnen vielleicht schon in zwei, drei Tagen diesen Skribenten vorführen. Hauptsache – unsere Abmachung!«
IV
PJOTR Stepanowitsch war vielleicht gar nicht dumm, aber der Zuchthäusler Fedjka hatte es genau getroffen, als er sagte: »Der denkt sich einen Menschen aus und lebt mit ihm.« Er verließ Herrn von Lembke in der festen Überzeugung, diesen wenigstens für sechs Tage beruhigt zu haben, und auf diese Frist war er unbedingt angewiesen. Aber die Idee war falsch, und alles beruhte einzig und allein darauf, daß er sich Andrej Antonowitsch ausgedacht hatte, von Anfang an und für immer, und zwar als den harmlosesten Einfaltspinsel.
Wie jeder krankhaft mißtrauische Mensch war auch Andrej Antonowitsch jedesmal, wenn sich ein Ausweg aus einer Ungewißheit zeigte, im ersten Augenblick voll des glücklichsten und bedenkenlosesten Vertrauens. Die neue Wendung, die die Dinge nahmen, erschien ihm zunächst als recht angenehm, ungeachtet mancher neu eintretenden bedenklichen Komplikationen. Die alten Zweifel wenigstens zerfielen zu Staub. Außerdem fühlte er sich nach diesen letzten Tagen so müde, so abgekämpft und hilflos, daß seine Seele verständlicherweise nach Ruhe lechzte. Aber ach, er war schon wieder unruhig. Die langen Jahre in Petersburg hatten in seiner Seele unauslöschliche Spuren hinterlassen. Die offizielle und sogar die geheime Geschichte der »neuen Generation« war ihm hinlänglich bekannt – er war ein wißbegieriger Mensch und er sammelte Proklamationen –, aber er hatte sie von Anfang an nicht verstanden. Jetzt aber kam er sich vor wie im dunklen Wald: Sein ganzer Instinkt sagte ihm, daß in Pjotr Stepanowitschs Worten etwas völlig Widersprüchliches lag, etwas außerhalb aller Formen und Konventionen – “obwohl, weiß der Teufel, in dieser ‘neuen Generation’ alles möglich ist und man nicht dahinterkommt, weiß der Teufel, wie es bei denen zugeht!” so zerbrach er sich den Kopf und verlor sich in Kombinationen.
Ausgerechnet in diesem Augenblick steckte Blüm abermals seinen Kopf zur Tür herein. Während Pjotr Stepanowitschs Besuch hatte er die ganze Zeit in der Nähe ausgeharrt. Dieser Blüm war mit Andrej Antonowitsch sogar verwandt, weitläufig verwandt, was aber sein Leben lang ängstlich und sorgsam geheimgehalten worden war. Ich bitte den Leser um Nachsicht, wenn ich dieser bedeutungslosen Person an dieser Stelle wenigstens einige Worte widme. Blüm gehörte zu dem merkwürdigen Geschlecht der »glücklosen« Deutschen, und zwar keineswegs aus gänzlichem Mangel an Talenten – man wußte einfach nicht, warum. Die »glücklosen« Deutschen sind keine Legende, sondern sie existieren wirklich, sogar in Rußland, und stellen einen eigenen Typus dar. Andrej Antonowitsch hegte für ihn sein Leben lang das rührendste Mitgefühl, lancierte ihn nach Kräften und verschaffte ihm überall, wo es eben anging, und zwar entsprechend seinen eigenen dienstlichen Erfolgen, untergeordnete, ihm untergebene Pöstchen; Blüm aber war überall vom Pech verfolgt. Bald wurde der Posten aufgehoben, bald wechselten die Vorgesetzten, und einmal wäre er um ein Haar mit anderen vor Gericht gestellt worden. Er war pünktlich und genau, aber irgendwie viel zu sehr, übertrieben, zu seinem eigenen Schaden, und immer finster; rothaarig, lang, gebeugt, niedergeschlagen, sogar gefühlvoll und bei aller Bescheidenheit hartnäckig und stur wie ein Ochse, aber immer am falschen Ort. Für Andrej Antonowitsch hegten er, seine Frau und seine zahlreichen Nachkommen langjährige andächtige Dankbarkeit. Außer Andrej Antonowitsch hatte ihn nie jemand geliebt. Für Julija Michajlowna war er von Anfang an nicht tragbar gewesen, aber es war ihr nicht gelungen, den Widerstand ihres Gatten zu brechen. Es kam zu ihrem ersten Ehestreit, und zwar unmittelbar nach der Hochzeit, in den allerersten honigsüßen Tagen, als plötzlich dieser bislang sorgfältig vor ihr versteckte Blüm auftauchte und mit ihm das fatale Geheimnis seiner Verwandtschaft mit ihr. Andrej Antonowitsch beschwor sie mit gefalteten Händen, erzählte gefühlvoll die ganze Geschichte Blüms und ihrer beider Freundschaft seit Kindertagen, aber Julija Michajlowna hielt sich für ewig in ihrer Ehre gekränkt und versuchte es sogar mit Ohnmachten. Von Lembke wich nicht einen Schritt zurück und beharrte darauf, daß er um nichts in der Welt
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