Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Haus traten, war eine Schar Menschen durch die Stadt gezogen und von vielen interessiert beobachtet worden, Arbeiter aus der Schpigulinschen Fabrik, etwa siebzig Mann, vielleicht auch ein paar mehr. Sie bewegten sich ruhig, fast schweigend, in geordneten Reihen. Später wurde behauptet, daß diese siebzig von der gesamten Fabrikbelegschaft, die sich bei den Schpigulins auf etwa neunhundert Mann belief, gewählt und beauftragt waren, beim Gouverneur, da die Besitzer nicht zu erreichen waren, vorzusprechen und bei ihm ihr Recht gegen den Administrator geltend zu machen, der bei der Schließung der Fabrik und der Entlassung der Arbeiter sie alle ohne Ausnahme schamlos übervorteilt hatte – eine Tatsache, an der heute kein Zweifel mehr besteht. Andere glauben bis auf den heutigen Tag nicht an eine Wahl, sondern behaupten, siebzig Mann seien für eine Deputation viel zu viele, und diese Schar habe aus den am schlimmsten Betroffenen bestanden, die in eigener Sache bitten wollten, so daß von einer allgemeinen »Meuterei« in der Fabrik, von der später so viel herumposaunt wurde, nicht die Rede sein könne. Dritte versicherten mit Feuereifer, diese siebzig Arbeiter seien keineswegs einfache Meuterer gewesen, sondern ganz bestimmt Politische, das heißt von Natur aus kämpferisch, und auch noch besonders aufgehetzt worden, und zwar gewiß durch nichts anderes als durch die Proklamationen; kurz, heute weiß man immer noch nicht mit Sicherheit, ob von einer Beeinflussung oder Anstiftung gesprochen werden kann. Meiner persönlichen Meinung nach hatten die Arbeiter überhaupt keine Proklamationen gelesen, und wenn sie welche gelesen hätten, hätten sie kein Wort verstanden, allein schon deshalb, weil ihre Verfasser, so karg ihr Stil auch ist, sich höchst unklar auszudrücken pflegen. Aber da es den Fabrikarbeitern in der Tat sehr dreckig ging – und die Polizei, an die sie sich gewandt hatten, auf ihr Anliegen nicht eingehen wollte –, lag ihnen nichts näher als der Gedanke, zuhauf vor den »General persönlich« zu ziehen, nach Möglichkeit mit einer Bittschrift, sich gesittet vor seiner Haustür aufzustellen, sich, sobald er erschiene, auf die Knie zu werfen und ihn, wie die Vorsehung selbst, anzuflehen. Meiner Meinung nach käme man in diesem Falle sowohl ohne Meuterei als auch ohne Deputierte aus, denn dieses Mittel ist ein altes, ein historisches; das russische Volk liebte von Anfang an das Gespräch mit dem »General persönlich«, schon allein um des Vergnügens willen, sogar unabhängig davon, wie ein solches Gespräch ausgehen mochte.
Deshalb bin ich vollkommen davon überzeugt, daß, selbst wenn Pjotr Stepanowitsch, Liputin und noch der eine oder andere, vielleicht sogar Fedjka, sich vorher unter den Arbeitern herumgetrieben (es liegen nämlich ziemlich stichhaltige Beweise dafür vor) und mit ihnen geredet hätten, mit zwei, drei, höchstens fünf von ihnen, versuchsweise gewissermaßen, diese Gespräche im Sande verlaufen wären.
Was aber die Meuterei betrifft, so hätten die Fabrikarbeiter, wenn sie überhaupt etwas aus ihrer Propaganda verstanden hätten, sicherlich gleich abgewinkt und nicht länger zugehört, da dies für sie eine Dummheit und keineswegs zweckdienlich war. Ganz anders war es mit Fedjka: Der hatte, wie es scheint, mehr Glück gehabt als Pjotr Stepanowitsch. An dem drei Tage später in der Stadt ausgebrochenen Feuer waren zweifellos, wie sich jetzt herausgestellt hat, außer Fedjka tatsächlich noch zwei Fabrikarbeiter beteiligt, und später, einen Monat danach, wurden drei ehemalige Fabrikarbeiter im Landkreis gefaßt, die ebenfalls Feuer gelegt und geplündert hatten. Aber wenn es Fedjka auch gelungen war, sie für direktes, unmittelbares Handeln zu gewinnen, so blieb es doch nur bei diesen fünf, denn von irgendwelchen anderen ist nie die Rede gewesen.
Wie dem auch gewesen sein mag, endlich erreichten die Arbeiter vollzählig den Platz vor dem Haus des Gouverneurs und stellten sich dort gesittet und in tiefem Schweigen auf. Dann warteten sie mit offenem Mund vor dem Eingang. Mir wurde erzählt, sie hätten, kaum angekommen, sofort ihre Mützen abgenommen, das heißt etwa eine halbe Stunde vor dem Erscheinen des Herrn über das Gouvernement, der sich ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt außerhalb des Hauses aufhielt. Die Polizei war sogleich zur Stelle, zuerst in einzelnen Vertretern, später so komplett wie möglich; zunächst wurde befohlen, selbstverständlich martialisch, sofort
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