Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
sollen mich lieber hassen. Aber das will ich, um es in Demut zu ertragen …«
»Und das allgemeine Mitleid mit Ihnen könnten Sie nicht mit derselben Demut ertragen?«
»Wahrscheinlich könnte ich es nicht. Sie haben ein sehr feines Einfühlungsvermögen. Doch … warum tun Sie das?«
»Ich fühle den Grad Ihrer Aufrichtigkeit, und es ist natürlich meine große Schuld, daß ich es nicht verstehe, mit Menschen umzugehen. Ich habe das immer als meinen größten Fehler empfunden«, sagte Tichon offen und herzlich, wobei er Stawrogin in die Augen sah. »Ich tue es nur, weil es mir um Sie bange ist«, fuhr er fort, »Sie stehen vor einem fast unüberschreitbaren Abgrund.«
»Weil ich es nicht aushalten werde? Weil ich ihren Haß nicht mit Demut ertragen werde?«
»Nicht nur den Haß.«
»Was denn noch?«
»Ihren Hohn«, flüsterte Tichon mühsam und gleichsam wider Willen.
Stawrogin wurde verlegen; seine Miene verriet Unruhe.
»Ich ahnte es«, sagte er. »Ich mache also vor Ihnen eine lächerliche Figur, während Sie mein ›Dokument‹ lasen, trotz der ganzen Tragödie? Sie brauchen sich nicht aufzuregen, es braucht Ihnen nicht peinlich zu sein … ich ahnte es ja selbst.«
»Das Entsetzen wird allgemein sein und natürlich mehr geheuchelt als aufrichtig. Die Menschen haben nur davor Angst, was ihre eigenen Interessen unmittelbar bedroht. Die reinen Seelen meine ich nicht: Die werden sich entsetzen und sich selbst die Schuld geben, aber sie werden nicht ins Gewicht fallen. Der Hohn jedoch wird allgemein sein.«
»Und nehmen Sie noch dazu die Sentenz eines Denkers, daß fremdes Elend uns immer irgendwie angenehm ist.«
»Ein zutreffender Gedanke.«
»Aber Sie … Sie persönlich … Ich wundere mich, wie schlecht Sie von den Menschen denken, wie geringschätzig«, brachte Stawrogin mit einiger Erbitterung hervor.
»Ach, glauben Sie mir, das gilt eher mir als den Menschen«, rief Tichon.
»Wirklich? Ist es denn möglich, daß in Ihrer Seele auch nur eine Spur von etwas ist, das sich an meinem Elend weidet?«
»Wer weiß, vielleicht ist etwas davon da. O ja, vielleicht ist etwas davon da.«
»Genug. Zeigen Sie mir, womit ich mich in meinem Manuskript lächerlich mache. Ich weiß, womit, aber ich will, daß Sie den Finger darauflegen. Sagen Sie es, möglichst zynisch, sagen Sie es mit aller Aufrichtigkeit, deren Sie fähig sind. Und ich wiederhole noch einmal, daß Sie ein schreckliches Original sind.«
»Sogar die Form dieses größten Reuebekenntnisses hat schon etwas Lächerliches. Oh, Sie dürfen nicht glauben, daß Sie nicht siegen werden!« rief er plötzlich wie begeistert aus. »Sogar diese Form« (er deutete auf die Blätter) »wird siegen, wenn Sie nur in Aufrichtigkeit die Backenstreiche und das Anspeien erdulden. Schon immer endete es damit, daß das allerschimpflichste Kreuz zu großem Ruhm und großer Macht wurde, wenn die Demut aufrichtig war. Sogar zu Ihren Lebzeiten schon sollen Sie vielleicht getröstet werden! …«
»Also, bloß die Form, den Stil finden Sie lächerlich?« beharrte Stawrogin.
»Auch den Inhalt. Das Unschöne wird tödlich sein«, flüsterte Tichon und senkte die Augen.
»Wie? Das Unschöne? Was ist unschön?«
»Das Verbrechen. Es gibt wahrhaft unschöne Verbrechen. Je mehr Blut, desto größer das Entsetzen, desto eindrucksvoller, sozusagen malerischer ist ein Verbrechen, welcher Art es auch sei; aber es gibt Verbrechen, die sozusagen, abgesehen von allem Entsetzen, schändlich, gemein, allzu unästhetisch sind …«
Tichon brach ab.
»Das heißt«, fiel Stawrogin erregt ein, »Sie finden, ich machte eine lächerliche Figur, als ich den Fuß eines schmutzigen Mädchens küßte … Und alles, was ich über mein Temperament sagte, und auch alles andere … Verstehe. Ich verstehe Sie sehr gut. Und Sie sehen keine Hoffnung für mich gerade deshalb, weil das unschön ist, ekelerregend, nein, nicht eigentlich ekelerregend, sondern schändlich, lächerlich, und Sie denken, daß ich gerade dies am wenigsten ertragen werde.«
Tichon schwieg.
»Ja, Sie kennen die Menschen, das heißt, Sie wissen, daß ich, gerade ich, es nicht ertragen werde … ich verstehe, warum Sie nach der jungen Dame aus der Schweiz fragten, ob sie jetzt hier ist.«
»Sie sind noch nicht bereit, noch nicht gestärkt genug«, flüsterte Tichon schüchtern und mit gesenktem Blick.
»Hören Sie, Vater Tichon: Ich will mir selbst vergeben, das ist mein Hauptziel, mein einziges Ziel!«
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