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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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bekannte Spezialanstalt in der Schweiz geführt hat, wo er angeblich seine Kräfte wiederherstellt. Hält man es aber für möglich, daß gerade an diesem Vormittag eindeutige Anzeichen von irgend etwas aufgetreten wären, so läßt sich meiner Meinung nach ebensogut annehmen, daß auch schon am Vortag ähnliche Anzeichen hätten auftreten können, wenn auch vielleicht nicht so eindeutig. Mir ist bekannt, aus Quellen vertraulichster Art (nehmen wir an, Julija Michajlowna persönlich hätte mir, und zwar später, nicht mehr im Triumph, sondern beinahe – alldieweil eine Frau niemals vollkommen bereut – reumütig einen kleinen Teil dieser Geschichte erzählt) ist mir bekannt, daß Andrej Antonowitsch in der Nacht vorher seine Gattin aufsuchte, tief in der Nacht, etwa um drei Uhr in der Frühe, sie weckte und verlangte, sie möge sein »Ultimatum« anhören. Die Aufforderung war so eindringlich, daß sie sich veranlaßt sah, sich von ihrem Lager zu erheben, im Zorn und in Papillotten, sich auf der Couchette niederzulassen und, wenn auch sarkastisch und geringschätzig, immerhin zuzuhören. Da wurde es ihr zum ersten Mal klar, wie weit es mit ihrem Andrej Antonowitsch gekommen war, und sie schauderte. Darauf hätte sie endlich zur Besinnung kommen und nachgeben sollen, aber sie verbarg ihr Entsetzen und gab sich noch unnachgiebiger als je zuvor. Sie hatte (wie wohl jede Gattin) im Umgang mit Andrej Antonowitsch eine bestimmte Manier, die sich bereits häufig bewährt hatte und ihn immer wieder zur Verzweiflung brachte. Julija Michajlownas Manier bestand in einem geringschätzigen Schweigen, das eine Stunde anhielt oder zwei oder vierundzwanzig Stunden und, wenn es sein mußte, dreimal vierundzwanzig, einem Schweigen um jeden Preis, was er auch sagen, was er auch tun mochte, sogar, wenn er auf die Fensterbank des dritten Stockwerks geklettert wäre, um sich hinunterzustürzen – eine Manier, unerträglich für einen empfindsamen Menschen! Ob Julija Michajlowna nun ihrem Gatten seine Fehlgriffe in den letzten Tagen und den mißgünstigen Neid des Gouverneurs auf ihre administrativen Talente, ob sie ihm seine Kritik an ihren Beziehungen zu der Jugend und zu unserer ganzen Gesellschaft wie auch sein mangelndes Verständnis für ihre raffinierten und weitblickenden politischen Ziele verübelte, ob sie ihm wegen seiner stumpfsinnigen und gegenstandslosen Eifersucht auf Pjotr Stepanowitsch zürnte – was es auch gewesen sein mochte –, jetzt war sie entschlossen, nicht nachzugeben, obwohl es bereits drei Uhr nach Mitternacht war und Andrej Antonowitsch sich in einer noch nie an ihm beobachteten Erregung befand. Völlig außer sich lief er bald auf und ab, bald kreuz und quer über die Teppiche ihres Boudoirs und redete sich alles von der Seele, zwar ohne erkennbaren Zusammenhang, dafür aber alles, was sich in seiner Seele aufgestaut hatte, weil es – »jedes Maß übersteigt«. Er begann damit, daß alle sich über ihn lustig machten und daß man ihn »an der Nase herumführt«. »Ich pfeife auf den Ausdruck!« schrie er mit sich überschlagender Stimme, als er sie lächeln sah. »Und wenn schon ›an der Nase‹, so ist es doch die Wahrheit! …« – »Ja, meine Gnädige, der Augenblick ist gekommen; jetzt ist es vorbei mit Lächeln und weiblicher Koketterie, begreifen Sie das! Wir befinden uns jetzt nicht im Boudoir einer affektierten Dame, sondern sind gleichsam zwei abstrakte Wesen in einem Luftballon, die sich getroffen haben, um sich die Wahrheit zu sagen.« (Er stotterte, verständlicherweise, und hatte Mühe, die richtige Form für seine, übrigens, zutreffenden Gedanken zu finden.) »Sie waren es, Sie, meine Gnädige, die mich aus meinem früheren Dasein herausgerissen haben. Ich habe diese Stellung nur Ihnen zuliebe angetreten, Ihrem Ehrgeiz zuliebe … Sie lächeln sarkastisch? Triumphieren Sie nicht zu früh. Sie müssen wissen, meine Gnädige, Sie müssen wissen, daß ich fähig gewesen wäre, den Anforderungen dieser Stellung zu genügen und nicht nur dieser einen, sondern eines Dutzends solcher Stellungen, denn ich habe meine Fähigkeiten; aber mit Ihnen, meine Gnädige, mit Ihnen an meiner Seite, kann man diesen Anforderungen nicht genügen; alldieweil ich an Ihrer Seite keinerlei Fähigkeiten habe. Es gibt keine zwei Zentren, Sie aber haben zwei geschaffen – das eine bei mir, das andere in Ihrem Boudoir –, zwei Machtzentren, meine Gnädige, aber das dulde ich nicht, ich dulde es

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