Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
sagte Stawrogin plötzlich mit einer düsteren Begeisterung in den Augen. »Ich weiß, daß die Erscheinung nur dann verschwinden wird. Darum suche ich ja unermeßliches Leid, suche es von mir aus. Schrecken Sie mich nicht ab.«
»Wenn Sie glauben, daß Sie sich selbst vergeben und diese Vergebung in dieser Welt erlangen können, so glauben Sie an alles!« rief Tichon begeistert. »Warum sagten Sie, daß Sie nicht an Gott glauben?«
Stawrogin antwortete nicht.
»Ihnen wird Gott den Unglauben vergeben, weil Sie den Heiligen Geist ehren, ohne ihn zu kennen.«
»Übrigens, Christus wird mir doch nicht vergeben?« fragte Stawrogin mit einem ironischen Unterton. »Es steht doch in diesem Buch geschrieben: › Wer aber ärgert dieser Geringsten einen‹ … Erinnern Sie sich? Nach dem Evangelium gibt es kein größeres Verbrechen und kann es keines geben! Hier, in diesem Buch!«
Er deutete auf das Evangelium.
»Ich tue Ihnen kund eine Freude«, sprach Tichon mit Ergriffenheit, »auch Christus wird Ihnen vergeben, wenn Sie nur erreichen, daß Sie sich selbst vergeben … Oh, nein, nein, glauben Sie mir nicht, ich habe gelästert: auch wenn Sie den inneren Frieden nicht erringen und sich selbst nicht vergeben können, so wird er Ihnen um Ihrer Absicht und Ihres großen Leidens willen vergeben. Denn die Worte und die Gedanken in der Sprache des Menschen reichen nicht, um alle Wege und Gerichte des Lammes zu nennen, › solange es Ihm nicht gefällt, uns Seine Wege zu offenbaren ‹. Wer will Ihn, den Unfaßlichen, umfassen? Wer will Ihn, den Unendlichen, ganz begreifen?!«
Seine Mundwinkel zuckten wie vorhin, und wieder lief ein kaum wahrnehmbarer Krampf über sein Gesicht. Nachdem er einen Augenblick mit sich gekämpft hatte, gab er es auf und senkte den Blick.
Stawrogin nahm seinen Hut vom Sofa.
»Ich werde irgendwann wiederkommen«, sagte er, sichtlich sehr ermüdet, »wir beide … Ich weiß das Vergnügen einer Unterhaltung mit Ihnen und die Ehre sehr hoch zu schätzen … ebenso Ihre Gefühle … Glauben Sie mir, daß ich verstehe, warum manche Menschen Sie so sehr lieben … Ich bitte Sie um Ihre Gebete vor Jenem, den Sie so sehr lieben …«
»Sie wollen schon gehen?« Tichon erhob sich rasch von seinem Platz, als hätte er mit einem so baldigen Abschied nicht gerechnet. »Und ich …« Er schien sehr verlegen. »Ich hatte vor, Ihnen eine Bitte vorzutragen, aber … ich weiß nicht … wie ich … und jetzt traue ich mich nicht.«
»Oh, tun Sie mir den Gefallen.« Stawrogin setzte sich sofort hin, den Hut in der Hand. Tichon sah diesen Hut, diese Pose, die Pose eines Menschen, der plötzlich weltmännisch gewandt, aber auch erregt und halb wahnsinnig wirkte, der ihm fünf Minuten zubilligte, um eine Angelegenheit zu beenden, und wurde noch verlegener.
»Meine Bitte besteht nur darin, daß Sie … Sie sehen es doch selbst, Nikolaj Wsewolodowitsch (das ist doch, glaube ich, Ihr Name und Vatersname?), daß Sie, falls Sie diese Blätter veröffentlichen, Ihr Schicksal ruinieren … im Hinblick auf eine Karriere zum Beispiel und … und im Hinblick auf alles andere.«
»Karriere?« Nikolaj Wsewolodowitsch rümpfte unangenehm berührt die Nase.
»Warum soll man alles ruinieren? Warum, fragt man sich, diese Unnachgiebigkeit?« schloß Tichon beinahe bittend, seiner eigenen Ungeschicklichkeit sich offenbar bewußt. Auf Nikolaj Wsewolodowitschs Gesicht zeigte sich ein schmerzlicher Ausdruck.
»Ich bat Sie bereits, und ich wiederhole meine Bitte: Alle Ihre Worte werden vergeblich sein … Und überhaupt, unsere ganze Unterhaltung nimmt eine unerträgliche Wendung.«
Er wandte sich in seinem Sessel demonstrativ ab.
»Sie verstehen mich falsch, hören Sie mich an und werden Sie nicht gereizt. Sie kennen meine Meinung: Ihre Tat wäre, wenn sie in Demut geschähe, eine große christliche Tat, aber nur, wenn Sie sie aushielten. Sogar wenn Sie sie nicht aushielten, würde Ihnen der Herr das anfängliche Opfer wohl anrechnen. Alles wird angerechnet werden: nicht ein einziges Wort, nicht eine einzige Regung der Seele, nicht ein einziger flüchtiger Gedanke werden verlorengehen. Ich schlage Ihnen statt dessen eine andere Tat vor, eine noch größere, etwas unbezweifelbar Erhabenes …«
Nikolaj Wsewolodowitsch schwieg.
»Sie dürsten nach Martyrium und Selbstaufopferung; unterwerfen Sie sich auch dieses Bedürfnis, geben Sie diese Blätter und Ihre Absicht auf – und Sie werden alles überwinden.
Weitere Kostenlose Bücher