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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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auseinanderzugehen. Aber die Arbeiter blieben stehen, störrisch wie eine Hammelherde vor dem Zaun, und antworteten lakonisch, sie wollten zum »General persönlich «; eine feste Entschlossenheit war nicht zu übersehen. Das Bellen der Kommandos verstummte; an ihre Stelle traten Nachdenklichkeit, geheimnisvoll geflüsterte Anweisungen und strenge, geschäftige Sorge, die die Stirn der Obrigkeit verdüsterte. Der Polizeimeister zog es vor, die Ankunft des Herrn von Lembke abzuwarten. Es ist nichts als unsinniges Gerede, er wäre in einer Troika, in vollem Galopp, herangebraust und hätte schon von der Droschke aus geprügelt. Freilich, er brauste heran und liebte es, in seiner Renndroschke mit der gelben Rückwand dahinzubrausen, und während seine »geradezu sündhaft tollen« Seitenpferde zur Begeisterung sämtlicher Kaufleute über den Marktplatz rasten, pflegte er sich in seiner Renndroschke zu erheben, sich zu voller Größe aufzurichten, während er sich mit der Linken an einem eigens zu diesem Zweck seitlich angebrachten Riemen festhielt und den rechten Arm in den Raum hinausstreckte, wie ein Monument, um die Stadt zu überschauen. In diesem Fall prügelte er aber nicht, obgleich er, als er aus dem Wagen sprang, auf ein deftiges Wort nicht verzichten mochte, allerdings nur, damit seine Popularität keinen Schaden nehme. Es ist noch unsinniger zu behaupten, Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten wären in Stellung gebracht und telegraphisch Artillerie und Kosaken angefordert worden: Das sind Märchen, an die jetzt nicht einmal mehr die Urheber glauben. Ebenso unsinnig war die Behauptung, man hätte Feuerwehrfässer beordert, um das Volk mit Wasser zu begießen. In der Hitze des Gefechts hatte Ilja Iljitsch einfach gerufen, daß bei ihm niemand trocken aus dem Wasser käme; daraus entstanden wohl die Feuerwehrfässer, die in die Zeitungsnachrichten der Metropolen gelangten. Die zutreffende Variante dürfte wohl gewesen sein, daß die Arbeiter zunächst von allen vorhandenen Polizisten umstellt wurden und ein Bote, der Kommissar des Ersten Reviers, ausgesandt wurde, welch selbiger in der Droschke des Polizeimeisters über die Straße nach Skworeschniki brauste, da man wußte, daß von Lembke vor einer halben Stunde in seiner Equipage dorthin aufgebrochen war …
    Aber ich gestehe, daß für mich eine Frage immer noch offen bleibt: Wie war es möglich, daß eine harmlose, das heißt eine gewöhnliche Schar von Bittstellern – freilich, es waren siebzig Mann –, auf den ersten Blick, vom ersten Schritt an, als ein die Grundfesten erschütternder Aufruhr angesehen wurde? Warum stürzte sich Lembke selbst auf diese Idee, als er zwanzig Minuten später samt dem Boten erschien? Ich könnte mir denken (wiederum meine ganz persönliche Meinung), daß es für Ilja Iljitsch, der bei dem Administrator ein Kind aus der Taufe gehoben hatte, sogar vorteilhaft war, Herrn von Lembke die Arbeiter in diesem Licht darzustellen, namentlich um eine ordnungsgemäße Untersuchung dieser Angelegenheit durch ihn zu vereiteln; aber Herr von Lembke selbst war es gewesen, der ihn auf diesen Gedanken brachte. An den beiden letzten Tagen hatte er ihn zu zwei geheimnisvollen und dringenden, wenn auch äußerst verwirrenden Unterredungen befohlen, aus denen Ilja Iljitsch immerhin den Schluß ziehen konnte, daß die Obrigkeit sich fest in die Idee von Proklamationen und Aufhetzung der Schpigulinschen Arbeiter zu einer sozialistischen Revolte verrannt, und zwar so sehr verrannt hätte, daß sie es möglicherweise bedauern würde, wenn die Aufhetzung sich in nichts auflöste. “Exzellenz möchten sich in Petersburg auszeichnen”, dachte unser schlauer Ilja Iljitsch, als er von Lembke verließ, “um so besser. Das kommt uns gerade recht.”
    Ich hingegen bin überzeugt, daß der bedauernswerte Andrej Antonowitsch einen Aufruhr nicht wünschte, nicht einmal, um sich persönlich auszuzeichnen. Er war ein Beamter von äußerster Gewissenhaftigkeit und hatte bis zu seiner Heirat im Stande der Unschuld gelebt. Was konnte er dafür, daß statt des unschuldigen staatlichen Brennholzes und eines ebenso unschuldigen Minchens eine vierzigjährige Prinzeß ihn zu sich emporgehoben hatte und ihm zum Schicksal geworden war? Ich weiß so gut wie definitiv, daß seit diesem verhängnisvollen Vormittag die ersten unmißverständlichen Anzeichen jenes Zustandes auftraten, der, wie man hört, den beklagenswerten Andrej Antonowitsch schließlich in jene

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