Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
massigen Körper erschütterte und seine ohnehin kleinen Augen verschwinden ließ. Bei diesem Anblick begann beinahe die Hälfte des Publikums ebenfalls zu lachen, und zwanzig der Anwesenden klatschten Beifall. Im seriösen Publikum warf man sich finstere Blicke zu; allerdings dauerte alles kaum länger als eine halbe Minute. Plötzlich stürzte Liputin mit seiner Festordnerschleife und zwei Dienern auf das Podium; man faßte den Hauptmann behutsam unter die Arme, Liputin flüsterte ihm etwas zu. Der Hauptmann runzelte die Brauen, knurrte: »Schon gut, wenn’s so ist«, winkte ab, drehte dem Publikum seinen mächtigen Rücken zu und verschwand mit seinen Begleitern. Aber einen Augenblick später erschien Liputin schon wieder auf dem Podium. Auf seinen Lippen lag das allersüßlichste Lächeln, das gewöhnlich an mit Zucker versetzten Essig erinnerte, und in der Hand hielt er einen Bogen Briefpapier. Mit kurzen, aber schnellen Schritten trat er an den Rand des Podiums.
»Meine Herrschaften«, sprach er ins Publikum, »eine Unachtsamkeit führte zu einem lustigen Mißverständnis, das bereits bereinigt ist; aber voller Hoffnung habe ich einen Auftrag übernommen, eine innige, ehrerbietigste Bitte eines unserer ortsansässigen Poeten … Erfüllt von dem erhabenen humanen Ziel … ungeachtet seiner äußeren Erscheinung … demselben Ziel, das uns alle hier zusammengeführt hat … die Tränen mittelloser gebildeter junger Damen unseres Gouvernements zu trocken … wünscht dieser Herr, das heißt dieser hiesige Poet … der sein Inkognito wahren möchte … sein Gedicht vor der Eröffnung des Balles vorgetragen zu sehen … das heißt, ich wollte sagen – vor Beginn der Vorträge. Obwohl dieses Gedicht nicht im Programm steht und auch nicht vorgesehen war … weil es erst vor einer halben Stunde eingereicht wurde … schien es uns « (wer waren diese uns? Ich zitiere diese zusammenhanglose und verworrene Rede Wort für Wort), »daß dank seiner wunderbaren Naivität des Gefühls, verbunden mit einer ebenso wunderbaren Heiterkeit, dieses Gedicht es ohne weiteres verdient, verlesen zu werden, das heißt nicht als etwas Ernstes, sondern als etwas zu dem Fest Passendes … Mit einem Wort: zu der Idee … Zumal es nur einige Zeilen sind … und nun bitte ich das geneigte Publikum um seine Zustimmung.«
»Vorlesen!« bellte eine Stimme vom Ende des Saales.
»Also vorlesen?«
»Vorlesen, vorlesen!« ließen sich mehrere Stimmen vernehmen.
»Ich werde es vorlesen, mit Erlaubnis des Publikums«, scheinheilig gab Liputin nach, mit dem gleichen zuckersüßen Lächeln. Er schien immerhin zu zögern, und ich glaubte sogar, er wäre nervös. Ab und zu stolpern solche Menschen, trotz all ihrer Dreistigkeit. Übrigens, der Seminarist wäre nicht gestolpert, Liputin jedoch gehörte noch der Gesellschaft von früher an.
»Ich möchte vorausschicken, das heißt, ich habe die Ehre, vorauszuschicken, daß es sich dabei nicht eigentlich um eine Ode handelt, wie sie früher zu festlichen Gelegenheiten verfaßt wurden, sondern fast um einen Scherz, aber einen Scherz voll unbezweifelbaren Gefühls, in Verbindung mit spielerischer Heiterkeit und der, sozusagen, allerrealistischsten Wahrheit.«
»Vorlesen! Vorlesen!«
Er faltete das Papier auseinander. Selbstverständlich konnte ihn niemand daran hindern. Außerdem trug er seine Festordnerschleife. Mit tönender Stimme deklamierte er:
Der vaterländischen Gouvernante hierzulande
von einem Dichter am Festtag
Heil dir, heil dir, Gouvernantin!
Freue dich und triumphier’,
Zarentreu oder George-Sandin,
Ganz egal, jetzt jubilier’!
»Das ist ja Lebjadkin! Ganz bestimmt Lebjadkin!« riefen mehrere Stimmen. Man lachte und klatschte sogar, wenn auch nur zaghaft.
Lehrst die Gören buchstabieren,
Auf französisch fällt es schwer,
Und hältst Ausschau nach ’nem Freier,
Und wenn’s nur ein Küster wär’!
»Hurra, hurra!«
Doch belehrt durch die Reformen,
Nimmt kein Küster dich zum Weib.
Heut’, mein Fräulein, geht’s um Summen,
Darbe sonst an Seel’ und Leib!
»Genau, ganz genau, das ist Realismus, ohne Summen ist nichts zu machen!«
Aber jetzt, da wir beim Feste
Sammeln dir ein Kapital
Und die Mitgift, unsere beste,
Schicken dir aus diesem Saal, –
Zarentreu oder George-Sandin,
Ganz egal, jetzt jubilier’!
Du hast Mitgift, Gouvernantin,
Pfeife drauf und triumphier’!
Ich gestehe, ich traute meinen Ohren nicht. Das war eine so unverhohlene
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