Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
herrschte ein pausenloses Kommen und Gehen. Dieses »hinter den Kulissen« war ein ziemlich schmaler Gang, der vom Publikum durch einen Vorhang abgetrennt und von hinten über einen Korridor von den anderen Zimmern her zu erreichen war. Dort warteten unsere Vortragenden, bis sie an die Reihe kamen. Am meisten verblüffte mich in diesem Augenblick der Redner, der nach Stepan Trofimowitsch auftreten sollte. Das war auch eine Art von Professor (ich weiß heute immer noch nicht genau, wer er war), der nach einer Studentengeschichte freiwillig aus irgendeiner Lehranstalt ausgeschieden und erst vor einigen Tagen aus irgendeinem Grund in unserer Stadt aufgetaucht war. Auch er war Julija Michajlowna empfohlen und von ihr ehrerbietigst empfangen worden. Heute weiß ich, daß er vor seinem Auftritt nur einen einzigen Abend bei ihr verbracht, diesen ganzen Abend geschwiegen, über die Scherze und den Ton der Gesellschaft um Julija Michajlowna vieldeutig gelächelt und bei allen einen unangenehmen Eindruck hinterlassen hatte durch sein überhebliches und gleichzeitig nahezu schreckhaft empfindliches Benehmen. Julija Michajlowna persönlich hatte ihn für einen Vortrag angeworben. Jetzt schritt er von einer Ecke zur anderen und flüsterte ebenso vor sich hin wie Stepan Trofimowitsch, jedoch den Blick zu Boden statt in den Spiegel gerichtet. Ein Lächeln nach dem anderen probierte er nicht aus, obwohl er oft und begehrlich lächelte. Selbstverständlich war auch mit ihm nicht zu reden. Er war von kleiner Statur, dem Aussehen nach etwa vierzig, mit Stirn- und Scheitelglatze, trug einen ergrauenden kleinen Bart und war anständig gekleidet. Das Interessanteste an ihm war die Gewohnheit, bei jeder Kehrtwendung die rechte Faust zu heben, sie in der Luft über dem Kopf zu schwenken und plötzlich niedersausen zu lassen, als wolle er einen Widersacher zerschmettern. Dieses Kunststück wiederholte er immer wieder. Mir wurde unheimlich. Ich eilte davon, um Karmasinow zu hören.
III
Im Saal braute sich wieder irgend etwas nicht Geheures zusammen. Ich erkläre vorweg: Ich verneige mich vor der Größe eines Genies; aber warum benehmen sich unsere Herren Genies am Ende ihres glorreichen Lebens bisweilen genauso wie die kleinen Buben? Was hatte es schon zu sagen, daß er der Karmasinow war und mit der Würde von fünf Kammerherren auf einmal auftrat? Kann man denn mit einer einzigen Geschichte ein solches Publikum wie das unsrige eine ganze Stunde lang fesseln? Ich habe überhaupt die Beobachtung gemacht, daß bei einer öffentlichen unterhaltenden literarischen Lesung niemand die Aufmerksamkeit des Publikums länger als zwanzig Minuten ungestraft für sich in Anspruch nehmen darf. Freilich, dem Erscheinen des großen Genies wurde mit höchster Ehrfurcht begegnet. Sogar die strengsten alten Herren ließen Wohlwollen und Interesse erkennen, die Damen sogar eine gewisse Begeisterung. Der Beifall allerdings war irgendwie kurz und zögernd, irgendwie unentschlossen. Dafür enthielten sich die hinteren Reihen jeden Ausfalls, bis zu dem Augenblick, da Herr Karmasinow zu reden anfing, aber auch jetzt passierte fast nichts besonders Schlimmes, sondern irgendwie ein Mißverständnis. Ich erwähnte bereits, daß er eine viel zu schrille, fast weibische Stimme hatte, noch dazu mit dem echten, vornehmen Lispeln des Mannes von Adel. Kaum hatte er ein paar Worte gesagt, als sich irgend jemand erlaubte, laut zu lachen – wahrscheinlich ein ungeschliffener Tölpel, der noch nichts von der Welt wußte und überdies von Natur lachlustig war. Aber das hatte nichts von einer Demonstration; im Gegenteil, es wurde überall gezischt, und der Tölpel verstummte. Aber da begann Herr Karmasinow affektiert und pathetisch zu erklären, daß er »anfänglich um keinen Preis bereit war, hier zu lesen« (völlig sinnlose Erklärung!). Es gäbe, sagte er, »solche Zeilen, die sich von selbst aus dem Herzen so heraussingen, daß man es nicht beschreiben kann, und ein solches Heiligtum darf keinesfalls vor das Publikum gebracht werden« (und warum tat er es doch?); aber da man ihn so flehentlich darum gebeten hätte, so brächte er es doch, und da er außerdem geschworen hätte, die Feder für ewig niederzulegen und um keinen Preis weiterzuschreiben, hätte er nachgegeben und nolens volens dieses letzte Stück geschrieben; und da er sich ebenfalls geschworen hätte, niemals und unter keinen Umständen mehr zu schreiben und öffentlich zu lesen – würde er nolens volens
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