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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Dame zwei Toiletten – eine für die Matinee und ein Ballkleid zum Tanzen. Viele aus der mittleren Klasse hatten, wie sich später herausstellte, für diesen Tag alles verpfändet, sogar die Wäsche, sogar die Bettwäsche und womöglich die Matratzen, bei unsern Juden, deren Zahl ausgerechnet während der letzten zwei Jahre in unserer Stadt zusehends zugenommen hatte und immer noch zunimmt. Fast alle Beamten ließen sich einen Vorschuß auszahlen, manche Gutsbesitzer verkauften unentbehrliches Vieh, und dies alles nur, um ihre jungen Damen als Marquisen zu präsentieren und nicht hinter anderen zurückzustehen. Die Pracht der Toiletten war dieses Mal für unsere Verhältnisse unerhört. Bereits seit zwei Wochen war unsere Stadt gespickt mit Familienanekdoten, die unsere Spaßvögel stehenden Fußes dem Hof Julija Michajlownas zutrugen. Karikaturen verschiedener Familien kamen in Umlauf. Ich habe mit eigenen Augen in Julija Michajlownas Album Zeichnungen dieser Art gesehen. All dies wurde nur zu bald dort bekannt, wo solche Anekdoten ihren Ursprung genommen hatten; deshalb, glaube ich, war in den Familien in der allerletzten Zeit ein solcher Haß gegen Julija Michajlowna gewachsen. Jetzt schimpfen alle, wenn sie sich erinnern, und knirschen mit den Zähnen. Aber es war schon im voraus klar, daß es, wenn dem Komitee ein Fehler unterlaufen, wenn der Ball irgendwie mißlingen sollte, zu einem unerhörten Wutausbruch kommen würde. Das war der Grund, weshalb jeder im stillen mit einem Skandal rechnete; und wenn schon einmal damit gerechnet wurde, wie hätte er dann nicht Wirklichkeit werden sollen?
    Pünktlich um zwölf setzte in voller Lautstärke das Orchester ein. Als einer der Festordner, einer der zwölf »jungen Leute mit der Schleife«, habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie dieser Tag schmählichen Angedenkens begann. Er begann mit einem maßlosen Gedränge am Eingang. Wie war es nur möglich, daß alle vom ersten Schritt an versagten, angefangen mit der Polizei? Dem richtigen Publikum gebe ich keine Schuld: Die Familienväter hatten sich, ungeachtet ihres Ranges, nicht nur nicht vorgedrängt und nicht nur niemand beiseitegedrängt, sondern waren, wie man heute erzählt, schon auf der Straße unschlüssig geworden angesichts der für unsere Stadt ungewöhnlichen Menschenmenge, die den Eingang belagerte und ihn zu erstürmen schien, statt einfach einzutreten. Inzwischen fuhr eine Equipage nach der anderen vor, bis schließlich die Straße völlig verstopft war. Jetzt, da ich dies niederschreibe, kann ich mich auf unumstößliche Beweise stützen und darf behaupten, daß einige der übelsten Gesellen unserer Stadt von Ljamschin und Liputin ohne Billetts einfach eingeschleust wurden, vielleicht auch von anderen, die, genau wie ich, zu den Festordnern gehörten. Jedenfalls tauchten ganz und gar unbekannte Persönlichkeiten auf, die aus den Landkreisen oder sonstwoher angereist waren. Diese Barbaren fragten sogleich nach dem Betreten des Saales in stereotypen (wie auswendig gelernten) Worten nach dem Buffet und begannen, sobald sie hörten, daß es noch geschlossen sei, ohne jede Diplomatie und mit einer bei uns bislang unüblichen Dreistigkeit zu schimpfen. Freilich waren einige von ihnen bereits betrunken. Manche waren wie die Wilden von der Pracht der Räume unserer Adelsmarschallin überwältigt, da sie zeitlebens nichts ähnliches zu Gesicht bekommen hatten, sie verstummten für einen Augenblick, als sie den Saal betraten, und starrten mit aufgerissenen Mündern um sich. Dieser große Weiße Saal war, wenn auch älterer Bauart, in der Tat prachtvoll: riesig, zwei Stockwerke hoch, mit einem alten, ausgemalten und vergoldeten Plafond, Galerien, Spiegelwänden, rotweißen Draperien, Marmorstatuen (welcher Qualität auch immer, jedenfalls Statuen), schweren, antiken Möbeln aus Napoleonischer Zeit, weiß-golden und mit rotem Samt bezogen. Für diesen Tag war am Ende des Saales ein hohes Podium für die vortragenden Literaten errichtet und der ganze Saal, wie das Parterre eines Theaters, mit Stühlen vollgestellt worden, mit breiten Zwischengängen für das Publikum. Aber nach den ersten Minuten des Staunens begannen die völlig sinnlosen Fragen und Unmutsäußerungen. »Vielleicht liegt uns gar nichts am Lesen … Wir haben unser Geld bezahlt … Das Publikum wird unverschämt hinters Licht geführt … Wir haben zu bestimmen und nicht die Lembkes! …« Kurz, es war, als hätte man sie nur zu diesem Zweck

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