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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Morgen brach an. Schatow drückte das Gesicht an die Wand, in einer Ecke, ganz genauso wie am Vorabend, als Erkel die Treppe heraufkam. Er zitterte wie Espenlaub und hatte Angst zu denken, aber seine Gedanken blieben an sämtlichen Vorstellungen haften, wie es im Traum zu geschehen pflegt. Unaufhörliche Wunschträume trugen ihn davon und rissen unaufhörlich ab, wie ein morscher Faden. Aus dem Zimmer hörte man endlich nicht mehr Stöhnen, sondern ein entsetzliches, nur noch tierisches Brüllen, unerträglich, unvorstellbar. Er wollte sich die Ohren zuhalten, brachte es aber nicht fertig, fiel auf die Knie und stammelte besinnungslos: »Marie, Marie!« Und da, endlich, hörte Schatow einen Schrei, einen neuen Schrei, bei dem er zusammenfuhr und aufsprang, den Schrei des Neugeborenen, schwach und kläglich. Er schlug ein Kreuz und stürzte ins Zimmer. In den Händen Arina Prochorownas schrie und zappelte mit winzigen Ärmchen und Beinchen ein kleines, rotes und runzeliges Wesen, hilflos bis zum Entsetzen und wie ein Stäubchen dem ersten Windhauch preisgegeben, aber es schrie und meldete sich, als hätte es ebenfalls das volle Recht zu leben … Marie lag wie bewußtlos da, schlug aber eine Minute später die Augen auf und sah Schatow ganz sonderbar an: Es war ein irgendwie neuer Blick, er war noch außerstande zu begreifen, was dieser Blick eigentlich ausdrückte, aber er hatte nie zuvor bei ihr einen solchen Blick gesehen und konnte sich an keinen ähnlichen erinnern.
    »Ein Junge? Ein Junge?« fragte sie mit schwacher Stimme Arina Prochorowna.
    »Ein Bub!« rief diese zurück, während sie das Kind wickelte.
    Für einen Augenblick, nachdem sie es fertig gewickelt hatte und bevor sie es zwischen zwei Kissen quer über das Bett legte, reichte sie es Schatow zum Halten. Marie nickte ihm irgendwie verstohlen zu, als fürchte sie sich vor Arina Prochorowna. Er begriff sofort und hielt ihr das Kind hin, um es ihr zu zeigen.
    »Wie … hübsch …«, flüsterte sie schwach und lächelte.
    »Ha, wie der guckt!« lachte nach einem Blick in Schatows Gesicht die triumphierende Arina Prochorowna. »Was der für ein Gesicht macht!«
    »Frohlocken Sie, Arina Prochorowna … Es ist eine große, große Freude …«, stammelte fast idiotisch verzückt Schatow, der nach Maries Worten über das Kind förmlich strahlte.
    »Was für eine große, große Freude soll das sein?« fragte gutgelaunt Arina Prochorowna, die ununterbrochen geschäftig war, eilig aufräumte und alle Hände voll zu tun hatte.
    »Es ist das Mysterium eines neu erscheinenden Wesens, ein großes Mysterium, das unerklärlich ist. Und es ist schade, Arina Prochorowna, daß Sie das nicht verstehen!«
    Schatow murmelte zusammenhanglos und trunken vor Begeisterung. Es war, als wanke etwas in seinem Kopf und ergieße sich von selbst, unbeabsichtigt, aus seiner Seele.
    »Es waren zwei Menschen, und plötzlich ist ein Dritter da, ein neuer Geist, in sich geschlossen und vollendet, wie er nie aus Menschenhand hervorgehen könnte, ein neues Denken und eine neue Liebe, sogar unheimlich … Und etwas Höheres auf der Welt gibt es nicht!«
    »Immer den Kopf in den Wolken! Schlicht und einfach die Weiterentwicklung des Organismus, und sonst gar nichts, keine Spur von Mysterium«, Arina Prochorowna schüttelte sich vor aufrichtigem, unbeschwertem Lachen. »Dann ist jede Fliege ein Mysterium. Aber etwas anderes: Überflüssige Menschen sollten nicht geboren werden. Erst muß alles neu geschmiedet werden, damit sie nicht überflüssig sind, und erst dann darf man sie in die Welt setzen. So aber muß ich ihn übermorgen ins Waisenhaus schleppen … Übrigens ist das richtig so.«
    »Niemals wird er von hier ins Waisenhaus gebracht«, sagte Schatow entschieden und starrte auf den Boden.
    »Sie adoptieren ihn?«
    »Er ist mein Sohn.«
    »Klar, ein Schatow, dem Gesetz nach ein Schatow, und Sie brauchen sich noch lange nicht als Wohltäter des Menschengeschlechts aufzuspielen. Aber man muß ja Phrasen dreschen! Schon gut, schon gut. Nur noch eins, meine Herrschaften«, sie war mit dem Aufräumen endlich fertig, »für mich wird es Zeit. Ich werde am Vormittag noch einmal kommen, und wenn es nötig ist, werde ich auch abends kommen. Jetzt aber, da alles so tadellos verlaufen ist, muß ich auch nach den anderen schauen, die schon lange auf mich warten. Sie, Schatow, haben ja irgendwo eine Alte sitzen; die Alte ist schön und gut, aber auch Sie sollten sie nicht allein lassen;

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