Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

wie mit dem Armen, dem eine Erbschaft zufällt und der erschrickt und sich nicht traut, den Geldsack anzurühren, weil er sich für zu schwach hält, ihn zu besitzen. Ich will den Selbstwillen beweisen. Mag ich der einzige sein, aber ich tue es.«
    »Tun Sie’s.«
    »Es ist an mir, mich zu erschießen, weil der Angelpunkt des Selbstwillens darin besteht – sich selber töten.«
    »Aber Sie sind doch nicht der einzige, der sich umbringt; es gibt viele Selbstmörder.«
    »Aus einem Grund. Aber ohne einen Grund und nur aus Selbstwillen – bin ich der einzige.«
    “Er wird sich nicht erschießen”, dachte Pjotr Stepanowitsch abermals.
    »Wissen Sie«, sagte er gereizt, »ich an Ihrer Stelle würde einen anderen umbringen, um meinen Selbstwillen zu beweisen, und nicht mich selber. Sie könnten sich dadurch nützlich machen. Ich sage Ihnen, wen, wenn Sie keinen Schrecken bekommen. Dann brauchen Sie sich von mir aus heute nicht zu erschießen. Darüber läßt sich reden.«
    »Einen anderen zu töten ist der tiefste Punkt meines Selbstwillens, darin zeigst du dich, wie du bist. Ich bin nicht du: Ich will den höchsten Punkt und werde mich selbst töten.«
    “Endlich kommt er drauf”, knurrte Pjotr Stepanowitsch boshaft vor sich hin.
    »Ich habe die Pflicht, den Unglauben zu beweisen«, sagte Kirillow im Auf- und Abschreiten. »Eine höhere Idee als die, daß es Gott nicht gibt, kenne ich nicht. Die Menschheitsgeschichte bestätigt mich. Der Mensch hat nichts anderes getan, als sich Gott auszudenken, um zu leben, ohne sich selbst zu töten; daraus besteht die Weltgeschichte bis auf den heutigen Tag. Ich bin der einzige in der Weltgeschichte, der sich zum ersten Mal weigert, sich Gott auszudenken. Das soll man ein für allemal wissen.«
    “Er wird sich nicht erschießen.” Pjotr Stepanowitsch war voller Unruhe.
    »Wer soll es denn wissen?« stichelte er. »Wir sind hier allein, ich und Sie; etwa Liputin?«
    »Alle sollen es wissen; alle werden es wissen. Es ist nichts geheim , was man nicht wissen wird. Das hat Er gesagt.«
    Und mit fiebriger Begeisterung deutete er auf die Ikone des Erlösers, vor der das Ewige Licht brannte. Pjotr Stepanowitsch wurde endgültig wütend.
    »An Ihn glauben Sie also noch, und Sie haben auch das Ewige Licht angezündet; etwa ›für alle Fälle‹?«
    Kirillow schwieg.
    »Wissen Sie, meiner Meinung nach haben Sie vielleicht mehr Glauben als ein Pope.«
    »An wen? An Ihn? Höre«, Kirillow blieb stehen und blickte reglos, entrückt vor sich hin. »Höre die große Idee: Es war auf Erden ein Tag, da standen in der Mitte der Erde drei Kreuze. Einer der Gekreuzigten glaubte so sehr, daß er zu einem anderen sagte: › Heute wirst du mit mir im Paradiese sein .‹ Der Tag war zu Ende, beide starben, gingen dahin und fanden kein Paradies und keine Auferstehung. Das Gesagte bewahrheitete sich nicht. Höre: Dieser Mensch war der höchste auf der ganzen Erde, es war der, um dessentwillen sie lebt. Der ganze Planet samt allem, was auf ihm ist, wäre ohne diesen Menschen – nichts als Wahnsinn. Weder vor Ihm noch nach Ihm gab es einen Seinesgleichen, das ist sogar ein Wunder. Das Wunder besteht darin, daß es Seinesgleichen nie gab und auch künftig niemals geben wird. Wenn dem so ist, wenn die Naturgesetze auch vor Diesem nicht haltgemacht haben, wenn sie vor ihrem eigenen Wunder nicht haltgemacht haben, sondern auch Ihn gezwungen haben, inmitten der Lüge zu leben und für die Lüge zu sterben, dann folgt daraus, daß der ganze Planet Lüge ist und auf Lüge und albernem Hohn gründet. Es folgt daraus, daß die eigentlichen Gesetze des Planeten Lüge sind und ein diabolisches Vaudeville. Wozu dann leben, antworte, wenn du ein Mensch bist?«
    »Das ist eine andere Sache. Sie haben, wie mir scheint, zwei verschiedene Gründe durcheinandergebracht; so etwas ist höchst bedenklich. Aber erlauben Sie, was ist, wenn Sie Gott sind? Wenn nun die Lüge aufhört und Sie erkennen, daß alle Lüge dadurch entstand, daß es einen früheren Gott gab?«
    »Endlich hast du begriffen!« rief Kirillow begeistert. »Folglich ist es begreiflich, wenn sogar einer wie du es begreift. Jetzt begreifst du, daß die Erlösung aller darin besteht – allen diesen Gedanken zu beweisen. Wer wird ihn beweisen? Ich! Ich kann nicht begreifen, wie bis heute ein Atheist wissen konnte, daß kein Gott ist, ohne sich sofort zu töten. Erkennen, daß kein Gott ist, ohne gleichzeitig zu erkennen, daß man selbst Gott geworden