Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
hatte, und die tierische Wut, mit der er sich plötzlich auf ihn stürzte. Pjotr Stepanowitsch erschauerte, stellte schnell die Kerze auf dem Tisch ab, entsicherte den Revolver und zog sich rasch auf Zehenspitzen in die entgegengesetzte Ecke zurück, um Kirillow, falls dieser die Tür aufstoßen und mit dem Revolver in der Hand auf den Tisch zustürzen sollte, zuvorzukommen, zu zielen und als erster abzudrücken.
    An den Selbstmord glaubte Pjotr Stepanowitsch jetzt überhaupt nicht mehr! “Er stand im Zimmer und überlegte”, fuhr es wie ein Sturm Pjotr Stepanowitsch durch den Kopf. “Und dann das dunkle, unheimliche Zimmer … Er brüllte und stürzte los – da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ich habe ihn ausgerechnet in der Sekunde gestört, als er abdrücken wollte, oder … oder er stand da und überlegte, wie er mich umbringen könnte. Ja, so ist es, er überlegte … Er weiß, daß ich nicht weichen werde, ohne ihn getötet zu haben, falls er kneifen würde – folglich muß er mich töten, damit ich ihn nicht töte … Und dort wieder, wieder Stille! Es ist sogar unheimlich: Plötzlich reißt er die Tür auf … Eine Schweinerei, daß er an Gott glaubt, mehr als ein Pope … Er wird sich nie und nimmer erschießen! … Dieser Sorte, die ›durch den eigenen Verstand‹ zum Glauben gekommen ist, begegnet man heute auf Schritt und Tritt. Dieses Pack! Da – die Kerze, die Kerze! Hol’s der Teufel! In einer Viertelstunde ist sie unweigerlich aus … Ich muß ein Ende machen; um jeden Preis ein Ende machen … Warum nicht, jetzt könnte man ihn umlegen … Mit diesem Wisch wird keiner auf die Idee kommen, daß ich ihn umgebracht habe. Man kann ihn so auf dem Boden zurechtrücken, mit dem leeren Revolver in der Hand, daß sie unweigerlich denken werden, er selber … Aber wie umbringen? Weiß der Teufel! Ich mache auf, und er stürzt sich wieder auf mich und drückt als erster ab. Aber er wird ja nicht treffen!”
    So quälte er sich zitternd angesichts der Unentrinnbarkeit seiner Absicht und der eigenen Unschlüssigkeit. Schließlich nahm er die Kerze auf und näherte sich abermals der Tür, den schußbereiten Revolver in der erhobenen Hand; die Linke, in der er die Kerze hielt, legte er auf die Klinke. Aber das war ungeschickt: Die Klinke knackte, man hörte ein Knirschen. “Gleich schießt er!” fuhr es Pjotr Stepanowitsch durch den Kopf. Mit aller Gewalt trat er mit dem Fuß gegen die Tür, hob die Kerze hoch und streckte den Revolver vor; aber es folgte kein Schuß und kein Schrei … Das Zimmer war leer.
    Er zuckte zusammen.
    Das Zimmer hatte nur eine Tür, einen anderen Ausgang gab es nicht, eine Flucht war undenkbar. Er hob die Kerze noch höher und spähte aufmerksam ins Dunkel: niemand. Halblaut rief er Kirillows Namen, dann noch einmal, lauter; keine Antwort.
    “Ist er etwa durch das Fenster auf und davon?”
    Tatsächlich, an dem einen Fenster stand das Kappfenster offen. “Blödsinn, er konnte doch nicht durch das Kappfenster fliehen.” Pjotr Stepanowitsch durchquerte das ganze Zimmer und trat vor das Fenster: “Ausgeschlossen”. Plötzlich drehte er sich rasch um – und etwas Unheimliches erschütterte ihn.
    An der den Fenstern gegenüberliegenden Wand stand rechts von der Tür ein Schrank. Rechts von diesem Schrank, in der Ecke, zwischen der anderen Wand und dem Schrank, stand Kirillow, er stand da in einer ganz merkwürdigen Haltung – reglos, aufgereckt, die Hände an der Hosennaht, den Kopf hoch erhoben und den Hinterkopf fest an die Wand gepreßt, möglichst flach in die Ecke gedrückt, offenbar in dem Wunsch, sich zu verstecken und zu verschwinden. Allen Anzeichen nach hatte er die Absicht, sich zu verstecken, aber es fiel irgendwie schwer, das zu glauben. Pjotr Stepanowitsch stand etwa in der Diagonale zu dieser Ecke und konnte nur die vorspringenden Teile des Gestalt wahrnehmen. Er wagte immer noch nicht, einen Schritt nach links zu tun, um Kirillow von Kopf bis Fuß zu sehen und das Rätsel zu lösen. Sein Herz begann heftig zu klopfen … Und plötzlich bemächtigte sich seiner eine rasende Wut: Er schrie und stürzte stampfend wie außer sich auf die unheimliche Stelle zu.
    Aber dicht davor blieb er wieder wie angewurzelt stehen, von einem noch größeren Schrecken überwältigt. Ihn erschreckte hauptsächlich, daß die Gestalt, ungeachtet seines Schreiens und seiner heftigen Bewegung, sich nicht rührte, nicht ein Glied bewegte – als wäre sie

Weitere Kostenlose Bücher