Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Ihnen das in den allerletzten Minuten bedeuten, Kirillow? Worüber streiten wir eigentlich, sagen Sie’s mir bitte: Sie sind so’n Mensch, und ich bin so’n Mensch, und was folgt daraus? Und obendrein sind wir beide …«
»Schurken.«
»Stimmt. Jawohl, meinetwegen Schurken. Sie wissen doch, daß das nur Worte sind.«
»Ich habe mein Leben lang nicht gewollt, daß es nur Worte sind. Ich habe nur darum gelebt, daß ich es nie wollte. Ich will auch jetzt jeden Tag, daß es nicht nur Worte sind.«
»Jeder sucht, wo es besser ist. Der Fisch … Das heißt, jeder sucht Komfort nach seinem Geschmack; das ist alles. Eine ururalte Geschichte.«
»Komfort, sagst du?«
»Es lohnt sich doch nicht, über Worte zu streiten.«
»Nein, das hast du gut gesagt; von mir aus Komfort. Gott ist notwendig, also muß es ihn geben.«
»Das ist ja ausgezeichnet.«
»Ich aber weiß, daß es ihn nicht gibt und nicht geben kann.«
»Das ist noch besser.«
»Kannst du denn nicht begreifen, daß ein Mensch mit diesen beiden Gedanken unmöglich am Leben bleiben kann?«
»Und sich erschießen muß, nicht wahr?«
»Kannst du denn nicht begreifen, daß man sich schon allein deshalb erschießen kann? Begreifst du nicht, daß es einen solchen Menschen geben kann, einen unter tausend Millionen euresgleichen, einen einzigen, der das nicht mitmachen und nicht ertragen will?«
»Ich begreife nur, daß Sie unschlüssig sind … Das ist sehr schlimm.«
»Auch den Stawrogin hat die Idee gefressen.« Kirillow, der mit finsterem Gesicht im Zimmer auf und ab schritt, schien Pjotr Stepanowitschs Bemerkung zu überhören.
»Wie bitte?« Pjotr Stepanowitsch spitzte die Ohren. »Was für eine Idee? Hat er Ihnen selbst etwas gesagt?«
»Nein, ich bin selbst dahintergekommen: Wenn Stawrogin glaubt, so glaubt er nicht, daß er glaubt. Und wenn er nicht glaubt, so glaubt er nicht, daß er nicht glaubt.«
»Na ja, Stawrogin geht es auch noch um etwas anderes, Gescheiteres …«, murmelte Pjotr Stepanowitsch zänkisch, wobei er beunruhigt den Wechsel des Themas registrierte und den bleichen Kirillow beobachtete.
“Der Teufel soll ihn holen, er wird sich nicht erschießen”, dachte er, “ich habe es schon immer geahnt. Ein intellektueller Salto mortale und sonst nichts; dieser Schlappier!”
»Du bist der letzte, der bei mir ist: Ich möchte mich nicht im Bösen trennen«, lenkte Kirillow plötzlich ein.
Pjotr Stepanowitsch zögerte mit der Antwort. “Zum Teufel, was soll denn das heißen?” dachte er wieder.
»Glauben Sie mir, Kirillow, daß ich nicht das geringste gegen Sie habe, persönlich, als Mensch, und Sie immer …«
»Du bist ein Schurke, und du bist ein lügenhafter Verstand. Aber ich bin genauso wie du, und ich werde mich erschießen, du aber wirst bleiben und leben.«
»Damit wollen Sie sagen, daß ich so gemein bin, daß ich leben will.«
Er konnte noch nicht entscheiden, ob es in einem solchen Augenblick vorteilhaft oder unvorteilhaft wäre, ein solches Gespräch fortzusetzen, und entschloß sich, “den Dingen ihren Lauf” zu lassen. Der überlegene Ton Kirillows, seine stets unverhohlene Verachtung hatten ihn auch schon früher gereizt, jetzt reizten sie ihn aber aus irgendeinem Grunde noch mehr als früher. Vielleicht deshalb, weil Kirillow, der doch in ungefähr einer Stunde tot sein würde (Pjotr Stepanowitsch rechnete trotz allem fest darauf), ihm nur noch als eine Art Halbmensch vorkam, als jemand, dem Hochmut unter keinen Umständen zuzubilligen war.
»Es sieht so aus, als brüsteten Sie sich vor mir damit, daß Sie sich erschießen werden?«
»Habe mich immer gewundert, daß alle weiterleben.« Kirillow hatte seine Bemerkung überhört.
»Hm, meinetwegen, das ist eine Idee, aber …«
»Du bist ein Affe, du redest mir nach dem Mund, um mich in deine Gewalt zu bringen. Schweig, du wirst nichts verstehen. Wenn es Gott nicht gibt, dann bin ich Gott.«
»Das ist genau der Punkt, den ich bei Ihnen nie verstehen konnte: Warum sind Sie dann Gott?«
»Wenn es Gott gibt, so ist aller Wille Sein, und ich vermag nichts über Seinen Willen. Wenn es Ihn nicht gibt, so ist aller Wille mein, und es ist an mir, den Selbstwillen zu beweisen.«
»Den Selbstwillen? Und warum ›an mir‹?«
»Weil aller Wille mein geworden ist. Soll denn wirklich niemand auf dem ganzen Planeten, wenn er mit Gott ein Ende gemacht hat und an den Selbstwillen glaubt, sich erkühnen und den Selbstwillen beweisen, im Angelpunkt? Es ist so
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