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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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versteinert oder aus Wachs. Die Blässe ihres Gesichts war unnatürlich, die schwarzen Augen, völlig unbeweglich, starrten auf irgendeinen Punkt im Raum. Pjotr Stepanowitsch bewegte die Kerze von oben nach unten und wieder nach oben, um dieses Gesicht von allen Seiten zu beleuchten und zu mustern. Plötzlich bemerkte er, daß Kirillow zwar vor sich hin starrte, ihn aber doch von der Seite sah und vielleicht sogar beobachtete. Da kam ihm der Gedanke, die Kerzenflamme dicht an das Gesicht »dieses Schurken« zu halten, es anzusengen und abzuwarten, was er tun würde. Plötzlich glaubte er, Kirillows Kinn hätte gezuckt und seine Lippen verzögen sich zu einem spöttischen Grinsen – als hätte er seinen Gedanken erraten. Zitternd packte er Kirillow, seiner selbst nicht mehr mächtig, fest bei der Schulter.
    Darauf geschah etwas so Häßliches und Rasches, daß es Pjotr Stepanowitsch später nicht gelingen wollte, seine Erinnerung in irgendeine Ordnung zu bringen. Kaum hatte er Kirillow berührt, als dieser rasch den Kopf senkte und ihm mit dem Kopf die Kerze aus der Hand schlug; der Leuchter flog klirrend zu Boden; die Kerze erlosch. Im selben Augenblick spürte er einen entsetzlichen Schmerz im kleinen Finger seiner linken Hand. Er schrie auf und schlug, außer sich, wie er sich später erinnerte, Kirillow, der sich auf ihn geworfen und sich in seinen kleinen Finger verbissen hatte, aus aller Kraft dreimal mit dem Revolver auf den Kopf. Endlich gelang es ihm, Kirillow seinen Finger zu entreißen, und er floh Hals über Kopf aus dem Haus, im Dunkeln nach dem Weg tastend. Ihm folgte der aus dem Zimmer dringende furchtbare Schrei:
    »Sofort, sofort, sofort, sofort …«
    Etwa zehnmal. Aber er floh immer weiter und hatte bereits den Flur erreicht, als er plötzlich einen lauten Schuß hörte. Da blieb er mitten im Flur im Dunkeln stehen und überlegte wohl fünf Minuten; schließlich kehrte er wieder um. Aber er brauchte eine Kerze. Er mußte nur den ihm aus der Hand geschlagenen Leuchter rechts vom Schrank auf dem Boden ertasten; aber wie sollte er den Kerzenstummel wieder anzünden? Plötzlich tauchte vor ihm eine dunkle Erinnerung auf: Gestern, als er in die Küche hinuntergerannt war, um über Fedjka herzufallen, hatte er in der Ecke auf dem Wandbrett flüchtig eine große rote Streichholzschachtel bemerkt. Tastend bewegte er sich nach links zur Küchentür, fand sie, tastete sich weiter, durch den kleinen Flur und dann die Stufen hinunter. Auf dem Wandbrett, genau an der Stelle, die er im Gedächtnis behalten hatte, ertastete er im Dunkeln die volle, noch nicht angebrochene Streichholzschachtel. Ohne Licht zu machen, kehrte er eilig nach oben zurück, und da erst, neben dem Schrank, genau an der Stelle, wo er mit dem Revolver den zubeißenden Kirillow auf den Kopf geschlagen hatte, fiel ihm plötzlich sein verletzter Finger ein, und im selben Augenblick schmerzte er fast unerträglich. Er biß die Zähne zusammen, zündete, so gut es ging, den Kerzenstummel an, steckte ihn wieder in den Leuchter und sah sich um: Vor dem Fenster mit dem geöffneten Kappfenster, mit den Beinen zur rechten Zimmerecke, lag der Leichnam Kirillows. Die Einschußstelle war in der rechten Schläfe, die Kugel war, quer durch den Schädel hindurch, oben links ausgetreten, man sah Spritzer von Blut und Gehirn. Der Revolver war in der auf den Fußboden gesunkenen Hand des Selbstmörders geblieben. Der Tod mußte augenblicklich eingetreten sein. Nachdem Pjotr Stepanowitsch alles mit größter Sorgfalt inspiziert hatte, richtete er sich wieder auf, ging auf Zehenspitzen hinaus, zog hinter sich die Tür zu, stellte die Kerze im ersten Zimmer auf den Tisch, überlegte und beschloß, sie brennen zu lassen, als er sich überzeugt hatte, daß sie keinen Brand verursachen konnte. Nachdem er noch einen letzten Blick auf das auf dem Tisch liegende Dokument geworfen hatte, lächelte er mechanisch und verließ erst dann, aus irgendeinem Grunde immer noch auf Zehenspitzen, das Haus. Er kroch wieder durch Fedjkas Schlupfloch hinaus und machte es wieder sorgfältig hinter sich zu.
    III
    ES war genau zehn Minuten vor sechs, als Pjotr Stepanowitsch und Erkel auf dem Bahnhof entlang der ziemlich langen Waggonreihe promenierten. Pjotr Stepanowitsch verreiste, und Erkel verabschiedete sich von ihm. Das Gepäck war aufgegeben, die Reisetasche in einem Waggon zweiter Klasse auf dem gewählten Platz deponiert. Das erste Glockenzeichen war schon gegeben, man

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