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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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wartete auf das zweite. Pjotr Stepanowitsch sah sich unbefangen nach allen Seiten um und beobachtete die einsteigenden Passagiere. Aber nähere Bekannte fanden sich nicht darunter; er brauchte nur zwei- oder dreimal grüßend zu nicken – einem Kaufmann, den er flüchtig kannte, und einem jungen Dorfgeistlichen, der nur zwei Stationen zu seinem Sprengel weiterfuhr. Erkel wünschte offensichtlich, in den letzten Augenblicken von etwas Bedeutsamerem zu sprechen – wiewohl er vielleicht selbst nicht wußte, wovon; aber er traute sich nicht anzufangen. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, er falle Pjotr Stepanowitsch zur Last und dieser erwarte ungeduldig die nächsten Glockenzeichen.
    »Sie sehen allen so unbefangen ins Gesicht«, bemerkte er ein wenig schüchtern, als wollte er ihn warnen.
    »Warum nicht? Ich darf mich noch nicht verstecken. Es ist noch zu früh. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich fürchte nur, daß der Teufel uns Liputin auf den Hals schickt; der wird es riechen und gelaufen kommen.«
    »Pjotr Stepanowitsch, sie sind unzuverlässig«, sagte Erkel entschieden.
    »Liputin?«
    »Alle, Pjotr Stepanowitsch.«
    »Unsinn. Seit gestern hängen alle an einem Strick. Kein einziger wird uns verraten. Wer rennt schon ins offene Messer, wenn er nicht den Verstand verloren hat?«
    »Aber Pjotr Stepanowitsch, sie werden doch den Verstand verlieren.«
    Dieser Gedanke war augenscheinlich auch Pjotr Stepanowitsch bereits durch den Kopf gegangen, und deshalb ärgerte er sich über die Bemerkung Erkels ganz besonders:
    »Bekommen Sie es etwa auch mit der Angst zu tun, Erkel? Ich verlasse mich auf Sie mehr als auf alle anderen. Ich habe mich jetzt davon überzeugt, was jeder wert ist. Richten Sie ihnen heute noch alles mündlich aus, ich überantworte sie Ihnen. Suchen Sie alle heute morgen noch auf. Meine schriftliche Instruktion lesen Sie morgen oder übermorgen vor, wenn alle versammelt und wieder fähig sind zuzuhören … Aber seien Sie versichert, daß sie morgen schon dazu fähig sein werden, weil ihnen die Angst in die Knochen gefahren ist, und daß sie Ihnen aufs Wort folgen werden, wachsweich … Die Hauptsache ist, daß Sie selbst nicht den Kopf hängen lassen.«
    »Ach, Pjotr Stepanowitsch, es wäre besser, wenn Sie nicht verreisen würden!«
    »Es ist doch nur für ein paar Tage; ich bin gleich wieder da.«
    »Pjotr Stepanowitsch«, sagte Erkel behutsam, aber bestimmt, »und wenn Sie auch nach Petersburg führen. Ich verstehe doch, daß Sie nur das für die allgemeine Sache Notwendige tun.«
    »Weniger habe ich von Ihnen auch nicht erwartet, Erkel. Wenn Sie schon erraten haben, daß es nach Petersburg geht, so werden Sie auch verstehen, daß ich gestern abend, in jenem Moment, den anderen nicht sagen konnte, daß ich so weit verreise, um sie nicht bange zu machen. Sie haben ja selbst gesehen, in welcher Verfassung sie waren. Sie aber verstehen, daß es mir um die Sache geht, um die große Hauptsache, die gemeinsame Sache und nicht darum, mich aus dem Staube zu machen, wie irgendein Liputin glaubt.«
    »Pjotr Stepanowitsch, und wenn auch ins Ausland, ich werde es verstehen. Ich werde verstehen, daß Sie Ihre Person in Sicherheit bringen müssen, denn Sie sind alles und wir – nichts. Ich werde es verstehen, Pjotr Stepanowitsch.«
    Dem armen Jungen zitterte sogar die Stimme.
    »Haben Sie Dank, Erkel … Au, Sie sind an meinen kranken Finger gekommen!« (Erkel hatte ihm ungeschickt die Hand gedrückt; der kranke Finger trug einen effektvollen Verband aus schwarzem Taft.) »Aber ich kann Ihnen mit aller Entschiedenheit versichern, daß ich in Petersburg nur die Nase in den Wind halten will, vielleicht nur vierundzwanzig Stunden lang, und dann sofort zurück, hierher. Wenn ich wieder da bin, werde ich zum Schein zu Gaganow aufs Gut ziehen. Und wenn sie irgendeine Gefahr sehen, werde ich als erster, an der Spitze, sie mit ihnen teilen. Sollte ich mich länger in Petersburg aufhalten müssen, lasse ich Ihnen umgehend eine Nachricht zukommen … wie vereinbart, und Sie geben sie an die anderen weiter.«
    Das zweite Glockenzeichen wurde gegeben.
    »Aha, also nur noch fünf Minuten bis zur Abfahrt. Ich möchte nicht, wissen Sie, daß die hiesige Gruppe auseinanderfällt. Ich habe keine Angst, meinetwegen brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen; ich habe genug solcher Knoten in dem gesamten Netz, und ein einzelner bedeutet für mich nicht viel. Aber immerhin, eine Gruppe mehr kann nicht schaden.

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