Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
davon.
Selbstverständlich mußte sie noch am selben Vormittag vor der Polizei aussagen, weil sie die Hebamme der Wöchnerin war; aber man konnte nur wenig von ihr erfahren: Sehr sachlich und kaltblütig erzählte sie alles, was sie bei Schatow gesehen und gehört hatte, zu den jüngsten Vorfällen erklärte sie lediglich, daß sie davon nichts wisse und nichts verstehe.
Man kann sich vorstellen, welche Aufregung nun in der Stadt herrschte. Eine neue »Geschichte«, und schon wieder ein Mord! Aber jetzt war es etwas anderes: Es wurde klar, daß man es tatsächlich mit einem Geheimbund von Mördern, Brandstiftern, Revolutionären und Aufständischen zu tun hatte. Lisas furchtbares Ende, die Ermordung von Stawrogins Ehefrau, Stawrogin selbst, die Brandstiftung, der Wohltätigkeitsball zugunsten der Gouvernanten, die lockeren Sitten in Julija Michajlownas Gefolge … Sogar im Verschwinden Stepan Trofimowitschs wollte man unbedingt etwas Rätselhaftes erkennen. Viel, sehr viel wurde über Nikolaj Wsewolodowitsch getuschelt. Als der Tag zur Neige ging, wurde auch Pjotr Stepanowitschs Abwesenheit bekannt, aber merkwürdigerweise sprach man über ihn am allerwenigsten. Man sprach an diesem Tag am meisten von einem »Senator«. Vor dem Haus Filippow drängte sich fast den ganzen Vormittag die Menge. Die Obrigkeit wurde tatsächlich durch den Brief Kirillows irregeführt. Man glaubte, daß Kirillow Schatow ermordet und daß der Mörder anschließend Selbstmord begangen hätte. Übrigens hatte die Obrigkeit tatsächlich den Kopf verloren, aber nicht für lange; das Wort »Park« zum Beispiel, das in Kirillows Brief mit Absicht unbestimmt angebracht war, hatte die Wirkung verfehlt, mit der Pjotr Stepanowitsch gerechnet hatte. Die Polizei eilte sogleich nach Skworeschniki, weniger deshalb, weil dort ein Park war, wie es sonst bei uns keinen zweiten gab, sondern gewissermaßen aus Instinkt, weil alle Greueltaten der letzten Tage unmittelbar oder mittelbar mit Skworeschniki zusammenhingen. Das ist wenigstens meine Vermutung. (Ich möchte bemerken, daß Warwara Petrowna in aller Frühe und völlig ahnungslos abgereist war, um Stepan Trofimowitsch einzufangen.) Noch am selben Tag entdeckte man anhand gewisser Indizien die Leiche im Teich; am Ort des Verbrechens fand man Schatows Schirmmütze, die von den Mördern leichtsinnigerweise liegengelassen worden war. Der Polizeibericht und die medizinische Untersuchung des Leichnams wie auch gewisse Überlegungen erhärteten vom ersten Schritt an den Verdacht, daß Kirillow Helfer gehabt haben müßte. Die Existenz eines Schatow-Kirillowschen Geheimbundes, der auch für die Proklamationen verantwortlich war, lag auf der Hand. Aber wer waren diese Helfer? Kein einziger von den Unsrigen wurde an jenem Tag auch nur in Betracht gezogen. Man stellte fest, daß Kirillow völlig zurückgezogen wie ein Einsiedler gelebt hatte, so daß der steckbrieflich gesuchte Fedjka mehrere Tage bei ihm hatte Unterschlupf finden können. Das Schlimmste für alle war der Umstand, daß in der sich ausbreitenden Konfusion nichts Allgemeines und Verbindendes zu entdecken war. Man kann sich schwer vorstellen, zu welchen Schlußfolgerungen und zu welch abstrusen Gedanken unsere von panischem Schrecken gepackte Gesellschaft gelangt wäre, wenn sich nicht plötzlich alles schlagartig aufgeklärt hätte, schon am nächsten Tag, dank Ljamschin.
Er hatte es nicht ausgehalten. Ihm widerfuhr das, was sogar Pjotr Stepanowitsch zum Schluß vorausgefühlt hatte. Den ganzen folgenden Tag hatte er unter Aufsicht von Tolkatschenko und später von Erkel im Bett verbracht, allem Anschein nach ruhig, und kaum geantwortet, wenn er angesprochen wurde. Aus diesem Grunde hatte er den ganzen Tag nichts von alledem erfahren, was in der Stadt vor sich ging. Aber Tolkatschenko, der über alle Vorgänge genauestens unterrichtet war, ließ es sich gegen Abend einfallen, die ihm von Pjotr Stepanowitsch zugedachte Rolle bei Ljamschin aufzugeben und sich aus der Stadt aufs Land zurückzuziehen, das heißt, einfach davonzulaufen: Sie hatten wirklich alle den Verstand verloren, wie Erkel es prophezeit hatte. Bei dieser Gelegenheit sei erwähnt, daß auch Liputin am selben Tag aus der Stadt verschwand, sogar bereits am Vormittag. Der Zufall wollte es, daß die Behörden erst am nächsten Tag gegen Abend von seinem Verschwinden erfuhren, nämlich als die Vernehmung seiner durch sein Verschwinden furchtbar erschrockenen, aber ängstlich
Weitere Kostenlose Bücher