Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Augenblick des Lebens müssen dem Menschen Seligkeit sein … müssen, müssen es unbedingt! Es ist die Pflicht des Menschen selbst, dies zu verwirklichen; das ist sein Gesetz, das geheime, aber zweifellos existierende Gesetz … Oh, ich würde gern Petruscha sehen! Und sie alle … auch Schatow …«
Hier sei bemerkt, daß niemand etwas von Schatow wußte, weder Darja Pawlowna noch Warwara Petrowna, nicht einmal Salzfisch, der als letzter aus der Stadt gekommen war.
Stepan Trofimowitschs Erregung nahm weiter zu, aber sie war schmerzhaft und strengte ihn übermäßig an.
»Allein der ständige Gedanke daran, daß etwas unermeßlich Gerechteres und Glücklicheres existiert, als ich es bin, erfüllt auch mich mit unermeßlicher Rührung und Jubel, wer ich auch sein und was ich auch getan haben mag! Viel mehr als das eigene Glück braucht der Mensch das Wissen und den immerwährenden Glauben, daß es irgendwo ein bereits vollkommenes und ruhevolles Glück gibt, für alle und für alles … Das ganze Gesetz des menschlichen Seins besteht allein darin, daß der Mensch vor dem unermeßlich Großen das Knie beugen kann. Nimmt man den Menschen das unermeßlich Große, dann werden sie nicht mehr leben wollen und in Verzweiflung sterben. Das Unermeßliche und das Unendliche braucht der Mensch ebenso wie jenen kleinen Planeten, auf dem er wohnt … Meine Freunde, alle, alle: Es lebe die Große Idee! Die ewige Unermeßliche Idee! Jeder Mensch, wer er auch sei, ist darauf angewiesen, vor jenem das Knie zu beugen, das die Große Idee ist. Selbst der beschränkteste Mensch ist auf irgend etwas Großes angewiesen. Petruscha … Oh, wie wünsche ich mir, sie alle wiederzusehen! Sie ahnen nicht … daß auch sie dieselbe ewige Große Idee in sich tragen!«
Doktor Salzfisch war beim letzten Abendmahl nicht zugegen gewesen. Als er nun plötzlich eintrat, war er entsetzt und warf die Gesellschaft hinaus, indem er darauf bestand, der Kranke dürfe sich nicht aufregen.
Stepan Trofimowitsch verschied drei Tage später, aber in tiefer Bewußtlosigkeit. Er erlosch so still wie eine niedergebrannte Kerze. Auf Warwara Petrownas Veranlassung wurde er an Ort und Stelle ausgesegnet, anschließend ließ sie die sterblichen Überreste ihres armen Freundes nach Skworeschniki überführen. Sein Grab auf dem Kirchhof schmückt bereits eine Marmorplatte. Die Inschrift und das Einfassungsgitter sollen erst im Frühjahr angebracht werden.
Insgesamt war Warwara Petrowna etwa acht Tage abwesend. Mit ihr, in der Equipage neben ihr sitzend, kam Sofja Matwejewna, anscheinend um für immer bei ihr zu bleiben. Es sei bemerkt, daß Warwara Petrowna, sobald Stepan Trofimowitsch das Bewußtsein verloren hatte (noch am selben Vormittag), unverzüglich Sofja Matwejewna abermals aus dem Haus entfernte, um selbst den Kranken zu pflegen, ganz allein, bis zu seinem Ende; aber kaum hatte er den Geist aufgegeben, wurde Sofja Matwejewna zurückgeholt. Irgendwelche Einwände Sofja Matwejewnas, die von dem Vorschlag (besser gesagt: Befehl), sich für immer in Skworeschniki niederzulassen, zu Tode erschrocken war, ließ sie nicht gelten.
»Unsinn! Ich selber werde mit dir losziehen, um Bibeln zu verkaufen. Jetzt habe ich niemanden mehr auf der Welt!«
»Sie haben immerhin einen Sohn«, ließ sich Salzfisch vernehmen.
»Ich habe keinen Sohn!« brach Warwara Petrowna das Gespräch ab – und hatte wahr gesprochen.
Achtes Kapitel
Schlußbericht
SÄMTLICHE vorgefallenen Ausschreitungen und Verbrechen kamen außerordentlich schnell ans Licht, viel schneller, als Pjotr Stepanowitsch angenommen hatte. Es begann damit, daß die unglückliche Marja Ignatjewna in der Nacht, als ihr Mann ermordet wurde, vor Tagesanbruch aufwachte, nach ihm rief und sich unbeschreiblich erregte, als sie ihn nicht neben sich fand. Bei ihr hatte, auf Wunsch von Arina Prochorowna, die alte Frau übernachtet. Dieser gelang es nicht, Marja Ignatjewna zu beruhigen, und deshalb lief sie, sobald es tagte, selbst zu Arina Prochorowna, nachdem sie der Wöchnerin versichert hatte, diese wisse am ehesten, wo ihr Mann sei und wann er nach Hause zurückkehren werde. Arina Prochorowna jedoch hatte sich inzwischen nicht weniger Sorgen gemacht: Sie hatte bereits von ihrem Mann von den nächtlichen Geschehnissen in Skworeschniki gehört. Er war erst gegen elf nachts nach Hause zurückgekehrt, seine innere und äußere Verfassung war entsetzlich; er rang die Hände, ließ sich mit dem Gesicht nach unten
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