Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
auf das Bett fallen und wiederholte, von Weinkrämpfen geschüttelt: »Das ist es nicht, das ist es nicht, das ist ganz und gar nicht das Richtige!« Natürlich gestand er alles Arina Prochorowna, die in ihn drang – allerdings ihr allein im ganzen Haus. Diese verordnete ihm, das Bett zu hüten, und schärfte ihm mit aller Strenge ein, daß er, »falls er durchaus flennen muß, ins Kissen schluchzen soll, damit es niemand hört, und daß nur ein ausgemachter Dummkopf sich morgen etwas anmerken läßt«. Aber dann machte sie sich Gedanken und räumte für alle Fälle sogleich auf: Gewisse Schriftstücke, Bücher, vielleicht auch Proklamationen konnte sie rechtzeitig in Sicherheit bringen oder vollständig vernichten. Dabei kam sie zu dem Schluß, daß sie persönlich, ihre Schwester, ihre Tante, die Studentin und auch vielleicht ihr schlappohriger Bruder keinen besonderen Grund zur Sorge hätten. Als die Pflegerin gegen Morgen gelaufen kam, zögerte sie keinen Augenblick und machte sich auf den Weg zu Marja Ignatjewna. Sie wünschte sich allerdings nichts sehnlicher, als sich zu vergewissern, ob das zutraf, was gestern ihr Gatte, erschrocken und verwirrt, fast im Delirium, ihr über die Kirillow betreffenden Pläne Pjotr Stepanowitschs anvertraut hatte.
Aber als sie zu Marja Ignatjewna kam, war es schon zu spät: Nachdem diese die alte Frau fortgeschickt hatte und allein geblieben war, hatte sie es nicht ausgehalten, war aufgestanden, hatte sich die ersten besten Kleidungsstücke, wahrscheinlich viel zu Leichtes und nicht der Jahreszeit Entsprechendes, übergeworfen und war dann selbst in das Hinterhaus zu Kirillow gegangen, in der Annahme, er könne am ehesten über den Aufenthalt ihres Mannes Auskunft geben. Man kann sich vorstellen, wie das, was sie sah, auf die Wöchnerin wirkte. Merkwürdigerweise hat sie Kirillows Abschiedsbrief, der auf dem Tisch lag, gut sichtbar, nicht gelesen, wahrscheinlich hat sie ihn vor lauter Entsetzen einfach übersehen. Sie stürzte in ihre Mansarde zurück, packte das Kind und lief mit ihm auf die Straße hinaus. Der Morgen war feucht und neblig. Niemand begegnete ihr auf der entlegenen Straße. Sie lief und lief, atemlos, durch den kalten, dicken Matsch und begann schließlich, an den Haustüren zu klopfen; im ersten Haus wurde ihr nicht geöffnet, vor einem anderen Haus mußte sie zu lange warten; sie wurde ungeduldig und klopfte beim dritten Haus an. Es war das Haus unseres Kaufmanns Titow. Dort versetzte sie alle in große Aufregung, schrie und stammelte zusammenhanglos, man habe »ihren Mann ermordet«. Schatow und seine Geschichte waren im Hause Titow bekannt; man konnte sich vor Entsetzen nicht fassen, daß sie, die nach eigenen Worten vor vierundzwanzig Stunden entbunden hatte, bei solcher Kälte in viel zu leichter Kleidung draußen herumlief, mit dem kaum eingepackten Neugeborenen im Arm. Zunächst glaubte man, sie spräche im Fieber, weil man nicht verstand, wer eigentlich ermordet worden sei: Kirillow oder ihr Mann? Als sie merkte, daß man ihr nicht glaubte, rannte sie hinaus und wollte weiterlaufen, aber man hielt sie mit Gewalt zurück, wobei sie, wie man sagt, sich lange wehrte und furchtbar schrie. Man begab sich in das Haus Filippow, und zwei Stunden später wußte die ganze Stadt von Kirillows Selbstmord und von seinem Abschiedsbrief. Die Polizei befragte die Wöchnerin, die noch bei Bewußtsein war; dabei stellte sich heraus, daß sie Kirillows Brief nicht gelesen hatte, aber es gelang trotz aller Anstrengungen nicht, von ihr zu erfahren, wie sie dazu kam, daß ihr Mann ermordet worden wäre. Sie schrie nur immer wieder: »Wenn er ermordet ist, dann ist auch mein Mann ermordet; sie waren zusammen!« Gegen Mittag verlor sie das Bewußtsein, das sie nicht wiedererlangte, und drei Tage später war sie tot. Das erkältete Kind starb noch vor ihr. Nachdem Arina Prochorowna Marja Ignatjewna und das Neugeborene nicht angetroffen und geschlossen hatte, daß dies nichts Gutes bedeute, wollte sie schon gehen, hielt aber vor dem Tor und schickte die Wärterin »zu dem Herrn im Hinterhaus, um zu fragen, ob Marja Ignatjewna sich dort aufhält und ob der Herr vielleicht weiß, was mit ihr ist«. Als die Frau zurückkam, war sie außer sich und schrie aus vollem Halse. Mit dem bewährten Argument: »Du kommst vors Gericht!« brachte Arina Prochorowna sie zum Schweigen und überredete sie, mit keinem über das Gesehene zu sprechen; darauf machte sie sich
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