Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
gehaßt, weil sie reitet, so glühend, daß er sie auf offener Straße beinahe lauthals beschimpft hätte; und er hat es auch wirklich getan! Erst vorgestern hat er sie beschimpft, als sie an ihm vorbeiritt – glücklicherweise hat sie es nicht gehört, und nun plötzlich dieses Gedicht! Wissen Sie, daß er die Absicht hat, einen Heiratsantrag zu riskieren? Im Ernst, ganz im Ernst!«
»Ich wundere mich über Sie, Liputin! Sie sind immer dabei, wenn irgendwo eine schäbige Intrige ausgeheckt wird, und jedesmal haben Sie die Fäden in der Hand!« stieß ich wütend hervor.
»Sie gehen entschieden zu weit, Herr G—w; stockt Ihnen etwa das Herzchen, weil es einen Rivalen fürchtet, wie?«
»Wa-as?« rief ich und blieb stehen.
»Und nun, um Sie zu bestrafen, werde ich Ihnen kein Wort weiter erzählen! Und wie gerne würden Sie noch mehr hören! Zum Beispiel, daß dieser Holzkopf jetzt nicht mehr nur Hauptmann ist, sondern Gutsbesitzer unseres Gouvernements und ein ziemlich vermögender dazu, denn Nikolaj Wsewolodowitsch haben geruht, ihm seinen ganzen Besitz, seine früheren zweihundert Seelen, vor wenigen Tagen zu verkaufen, bei Gott, ich lüge nicht! Ich habe es eben erst erfahren, aber dafür aus zuverlässigster Quelle. So, und den Rest müssen Sie nun selbst herauskriegen; ich sage nichts mehr; auf Wiedersehen!«
X
STEPAN Trofimowitsch hatte mich mit hysterischer Ungeduld erwartet. Er war seit etwa einer Stunde wieder zu Hause. Als ich kam, war er wie betrunken; jedenfalls in den ersten fünf Minuten glaubte ich, er sei betrunken. Ach, der Besuch bei Drosdows hatte ihn um die letzte Fassung gebracht.
»Mon ami, ich habe völlig den Faden verloren … Lise … Ich liebe und verehrte diesen Engel wie früher; jawohl, wie früher; aber ich habe den Eindruck, als ob sie beide mich nur deshalb erwartet hätten, um irgend etwas herauszubekommen, das heißt, mir einfach etwas Bestimmtes zu entlocken und mich dann mit Gott zu entlassen … So ist es.«
»Sie sollten sich schämen!« entfuhr es mir.
»Mein Freund, jetzt stehe ich völlig einsam da. Enfin, c’est ridicule . Stellen Sie sich vor, auch dort ist alles mit Geheimnissen gespickt. Sie stürzten sich geradezu auf mich wegen dieser Nasen und Ohren und noch irgendwelcher anderen Petersburger Geheimnisse. Beide haben nämlich hier zum ersten Mal von den hiesigen Geschichten mit Nicolas vor vier Jahren gehört: ›Sie waren hier, Sie haben es erlebt, stimmt es, daß er verrückt ist?‹ Ich kann nicht begreifen, wie sie auf diese Idee kommen. Warum wünscht Praskowja unbedingt, daß Nicolas als ein Verrückter dasteht? Diese Frau wünscht das, sie wünscht es unbedingt! Ce Maurice, oder wie er auch heißt, Mawrikij Nikolajewitsch, ist un brave homme tout de même , aber wünscht sie es wirklich um seinetwillen? Und das, nachdem sie doch als erste aus Paris an cette pauvre amie geschrieben hatte … Enfin, diese Praskowja, wie cette chère amie sie nennt, ein Typus, sie ist Gogols Korobotschka seligen Angedenkens, nur eine bösartige Korobotschka, eine widerborstige Korobotschka in unendlich vergrößertem Maßstab.«
»Das kommt auf eine Truhe heraus; ist der Maßstab wirklich so vergrößert?«
»Meinetwegen auch verkleinert, darauf kommt es nicht an, Sie dürfen mich nicht unterbrechen, weil sich bei mir alles im Kopf dreht. Die haben sich dort völlig zerstritten; nur Lise nicht; da heißt es immer noch ›Tante, Tante‹, aber Lise ist gescheit, dahinter muß noch etwas stecken. Geheimnisse. Aber mit der Alten ist sie jetzt zerstritten. Cette pauvre Tante ist natürlich eine Despotin … aber da ist die Gouverneursgattin und die Respektlosigkeit der Gesellschaft und die ›Respektlosigkeit‹ Karmasinows, und da ist plötzlich diese Idee von der Geisteskrankheit, ce Lipoutine, ce que je ne comprends pas , und … und sie läßt sich Essigkompressen machen, und da sind wir beide mit unseren Klagen und unseren Briefen … Oh, wie habe ich sie gequält und in was für einem Moment! Je suis un ingrat ! Stellen Sie sich vor, ich komme nach Hause und finde einen Brief von ihr; lesen Sie, lesen Sie! Oh, wie unanständig habe ich gehandelt!«
Er reichte mir den soeben erhaltenen Brief Warwara Petrownas. Sie schien das morgendliche »Bleiben Sie zu Hause« zu bereuen. Der Zettel war höflich, aber entschieden und knapp. Sie bat Stepan Trofimowitsch, übermorgen – es war ein Sonntag – punkt zwölf in Begleitung eines seiner Freunde (in Klammern war
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