Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
auch nicht für lange.
»O gäbe es doch nicht dieses Übermorgen, diesen Sonntag!« rief er plötzlich aus, nun aber in tiefster Verzweiflung. »Warum kann nicht wenigstens diese einzige Woche ohne Sonntag sein – si le miracle existe ? Was macht es schon der Vorsehung aus, einen, nur einen einzigen Sonntag aus dem Kalender zu streichen, und sei es auch nur zu dem Zweck, einem Atheisten ihre Allmacht zu beweisen et que tout soit dit ! O wie habe ich sie geliebt! Zwanzig Jahre, die ganzen zwanzig Jahre, und nie, nie hat sie mich verstanden!«
»Aber von wem sprechen Sie eigentlich? Ich verstehe Sie auch nicht!« fragte ich verwundert.
»Vingt ans! Und nicht ein einziges Mal hat sie mich verstanden, oh, das ist grausam! Ja, glaubt sie denn etwa, ich heirate aus Angst, aus Not? Diese Schmach! Tante, Tante, ich tu’s für dich! … Sie soll erfahren, diese Tante, daß sie die einzige Frau ist, die ich zwanzig Jahre angebetet habe! Sie muß es erfahren, sonst wird nichts daraus, sonst wird man mich nur mit Gewalt an ce qu’on appelle le Traualtar bringen!«
Ich hörte dieses noch dazu so energisch vorgebrachte Bekenntnis zum ersten Mal und möchte nicht verhehlen, daß ich am liebsten laut herausgelacht hätte. Ich hatte unrecht gehabt.
»Er, er allein ist mir jetzt geblieben, er, meine einzige Hoffnung!« Er schlug plötzlich die Hände zusammen wie bei einem überraschenden neuen Einfall. »Jetzt kann nur er, er, mein armer Junge, mich retten und – oh, wo bleibt er nur? O mein Sohn, o mein Petruscha … und obwohl ich es nicht verdiene, ein Vater genannt zu werden, sondern eher ein Tiger, so … laissez-moi, mon ami , ich möchte eine Weile ruhen, um meine Gedanken zu sammeln. Ich bin so müde, so müde, und auch für Sie ist es wohl Zeit, schlafen zu gehen, voyez-vous , es ist schon Mitternacht …«
Viertes Kapitel
Die Hinkende
I
SCHATOW war nicht starrsinnig gewesen und erschien auf meinen Brief hin gegen zwölf Uhr mittags bei Lisaweta Nikolajewna. Wir betraten das Haus beinahe gleichzeitig, ich erschien ebenfalls, um meinen ersten Besuch abzustatten. Alle, das heißt Lisa, maman und Mawrikij Nikolajewitsch, saßen im großen Salon und stritten. Maman hatte gewünscht, daß Lisa ihr einen bestimmten Walzer auf dem Klavier vorspielte, aber als diese den Walzer begann, behauptete sie, daß es nicht der richtige sei. Mawrikij Nikolajewitsch trat in seiner Arglosigkeit für Lisa ein und behauptete seinerseits, der Walzer sei doch der richtige; maman brach vor Zorn in Tränen aus. Sie war krank, und sogar das Gehen machte ihr große Mühe. Ihre Beine waren geschwollen, und schon seit einigen Tagen tat sie nichts anderes, als an allen herumzumäkeln und alle zu schikanieren, obwohl sie vor Lisa sonst immer Respekt hatte. Man freute sich über unser Kommen. Lisa errötete vor Vergnügen, sagte mir »merci«, selbstverständlich nur Schatows wegen, und ging auf Schatow zu, wobei sie ihn neugierig betrachtete.
Schatow blieb linkisch in der Tür stehen. Sie dankte ihm für sein Kommen und führte ihn zu maman.
»Herr Schatow, von dem ich Ihnen erzählt habe, und Herr G—w, ein guter Freund von mir und von Stepan Trofimowitsch. Mawrikij Nikolajewitsch hat ihn auch gestern kennengelernt.«
»Welcher ist denn der Professor?«
»Der Professor ist nicht da, maman.«
»Nein, er ist da, du hast mir doch selbst gesagt, daß der Professor kommt; wahrscheinlich ist es der da«, sie deutete mißlaunig auf Schatow.
»Ich habe Ihnen doch niemals gesagt, daß der Professor kommt. Herr G—w dient, und Herr Schatow ist ehemaliger Student.«
»Ob Student oder Professor, egal, beide kommen von der Universität. Du suchst nur Streit. Aber der in der Schweiz hatte doch Bart und Schnurrbart.«
»Maman nennt immer den Sohn von Stepan Trofimowitsch Professor«, sagte Lisa und führte Schatow zu einem Diwan am anderen Ende des Salons.
»Wenn ihre Beine geschwollen sind, ist sie immer so, sie ist krank, wissen Sie«, flüsterte sie Schatow zu, indem sie ihn immer noch mit außerordentlichem Interesse betrachtete, vor allem den Haarwirbel auf seinem Kopf.
»Sie sind Militär?« fragte mich die alte Dame, der Lisa mich so erbarmungslos überlassen hatte.
»Nein, ich bin Beamter …«
»Herr G—w ist ein guter Freund von Stepan Trofimowitsch!« warf Lisa sofort dazwischen.
»Sie dienen bei Stepan Trofimowitsch? Aber ist der nicht auch Professor?«
»Ach, maman, wahrscheinlich träumen Sie auch nachts von
Weitere Kostenlose Bücher