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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Besitzer dieses Hauses betrieb in einem Neubau in einer anderen Straße eine Gastwirtschaft, und diese Alte, wohl eine Verwandte von ihm, war in dem alten Haus zurückgeblieben, um nach dem Rechten zu sehen. Die Zimmer dieses Hinterhauses waren recht sauber, aber die Tapeten waren schmutzig. In dem Raum, den wir betraten, standen die Möbel wahllos nebeneinander, kein Stück paßte zum anderen, und alles war lädiert: Zwei L’Hombre-Tische, eine Erlenholzkommode, ein großer, roher Tisch aus einem Bauernhaus oder einer Küche, Stühle und ein Sofa mit Gitterlehnen und harten Lederkissen. In einer Ecke hing eine alte Ikone, vor der die Alte, noch bevor wir kamen, das Ewige Licht angezündet hatte, und an den Wänden hingen zwei große, nachgedunkelte Ölbilder: Das eine stellte den verstorbenen Zaren Nikolaj Pawlowitsch dar und stammte, dem Aussehen nach, noch aus den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts; das andere einen Erzbischof.
    Nachdem Herr Kirillow eingetreten war, zündete er eine Kerze an und holte aus seinem Koffer, der noch unausgepackt in einer Ecke stand, einen Briefumschlag, Siegellack und ein Kristallpetschaft hervor.
    »Versiegeln Sie Ihren Brief und schreiben Sie die Adresse.«
    Ich beteuerte, daß dies nicht nötig sei, aber er bestand darauf. Nachdem ich die Adresse geschrieben hatte, griff ich nach meiner Mütze.
    »Ich dachte, Tee«, sagte er, »ich habe Tee gekauft. Wollen Sie?«
    Ich ließ mich nicht nötigen. Die Alte brachte sehr bald den Tee, das heißt einen riesigen Kessel mit heißem Wasser, eine kleine Teekanne mit reichlich aufgebrühtem Tee, zwei große, plump bemalte Steinguttassen, einen Hefezopf und einen Suppenteller voll Zuckerstücke.
    »Ich liebe Tee«, sagte er, »nachts; viel, ich gehe auf und ab und trinke; bis zum Morgengrauen. Im Ausland ist Tee nachts schwierig.«
    »Sie gehen erst im Morgengrauen schlafen?«
    »Immer; schon lange. Ich esse wenig; immer Tee. Liputin ist schlau, aber ungeduldig.«
    Ich wunderte mich, daß er sich mit mir unterhalten wollte; ich beschloß die Gunst des Augenblicks zu nutzen.
    »Heute vormittag kam es zu peinlichen Mißverständnissen«, bemerkte ich.
    Er wurde sofort sehr finster.
    »Dumm; ganz belanglos. Alles belanglos, weil Lebjadkin besoffen war. Ich sagte Liputin nichts und erklärte nur Belangloses, weil er alles verdrehte. Liputin hat zuviel Phantasie, aus Belanglosem baut er Berge. Gestern glaubte ich Liputin.«
    »Und heute glauben Sie mir?« Ich lachte.
    »Aber Sie wissen doch heute bereits alles. Liputin ist schwach oder ungeduldig oder giftig oder … neidisch.«
    Das letzte Wort verblüffte mich.
    »Sie haben allerdings so viele Kategorien aufgestellt, daß es kein Kunststück ist, ihn in eine davon einzuordnen.«
    »Oder in alle zusammen.«
    »Ja, auch das ist richtig. Liputin – das ist ein Chaos! Er hat doch sicher heute vormittag nur phantasiert, daß Sie beabsichtigen, eine Abhandlung zu schreiben?«
    »Warum phantasiert?« Er verfinsterte sich wieder und starrte zu Boden.
    Ich entschuldigte mich und versicherte, ich hätte nicht die Absicht, ihn auszufragen. Er errötete.
    »Er sagte die Wahrheit; ich schreibe. Aber das ist egal.«
    Wir schwiegen beinahe eine Minute; plötzlich lächelte er das kindliche Lächeln vom Vormittag.
    »Das von den Köpfen hat er selbst aus einem Buch und sprach mit mir schon darüber und begreift wenig, ich aber suche nur den Grund, weshalb die Menschen nicht wagen, sich selbst zu töten; das ist alles. Auch das ist egal.«
    »Was sagen Sie? Sie wagen es nicht? Haben wir denn wenig Selbstmorde?«
    »Sehr wenig.«
    »Meinen Sie das wirklich?«
    Er antwortete nicht, stand auf und begann gedankenverloren auf und ab zu gehen.
    »Was also hält die Menschen Ihrer Meinung nach vom Selbstmord zurück?« fragte ich. Er sah mich zerstreut an, als wenn er sich erinnern müßte, wovon wir sprachen.
    »Ich … Ich weiß noch wenig … Zwei Vorurteile halten sie zurück, zwei Dinge; nur zwei; das eine ist sehr klein, das andere sehr groß. Aber das kleine ist auch sehr groß.«
    »Und welches ist das kleine?«
    »Der Schmerz.«
    »Der Schmerz? Ist denn der so wichtig … in einem solchen Fall?«
    »Das Wichtigste. Es gibt zwei Typen: Die einen, die sich töten, aus großem Kummer oder im Zorn oder Verrückte oder egal wegen was … die machen’s plötzlich. Die denken wenig an Schmerz, sondern plötzlich. Die aber mit Verstand – die denken viel.«
    »Aber, gibt es denn welche, die es mit

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