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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Wasser. Die Pilger schauen, staunen, seufzen und legen Geld hin. ›Da haben Sie ein schönes Kleinod gefunden‹, antwortet die Mutter Äbtissin (sie zürnte; sie konnte Lisaweta nicht ausstehen), ›aus purer Bosheit sitzt Lisaweta da, aus purem Eigensinn, und alles ist nichts wie Heuchelei.‹ Dies mißfiel mir; ich hatte damals selbst vor, Einsiedlerin zu werden: ›Und ich meine‹, sage ich, ›daß Gott und die Natur ein und dasselbe sind.‹ Darauf alle wie aus einem Munde: ›Also, so was!‹ Die Äbtissin lachte, flüsterte mit der Dame hin und her, rief mich zu sich heran, streichelte mir über den Kopf, und die Dame schenkte mir eine rosa Schleife, ich kann sie dir zeigen, willst du? Ja, und das Mönchlein beginnt sofort, mich zu belehren, und redet derart wohlgeneigt und demütig und gewiß höchst verständig; ich sitze da und höre zu. ›Hast du’s begriffen?‹ fragt er. ›Nein‹, sage ich, ›nichts habe ich begriffen. Und Ihr sollt mich‹, sage ich, ›ganz und gar in Ruhe lassen.‹ Und seit der Zeit haben sie mich ganz und gar allein und in Ruhe gelassen. Indessen flüsterte mir einmal, als wir aus der Kirche kamen, eine unserer ganz alten Nonnen, die bei uns lebte, um wegen Wahrsagerei Buße zu tun, zu: ›Die Mutter Gottes, was glaubst du, was die ist?‹ – ›Die Große Mutter‹, antworte ich, ›Trost und Hoffnung des Menschengeschlechts.‹ – ›Stimmt‹, sagt sie, ›die Mutter Gottes ist die Große Mutter Feuchte Erde, und darin ist die große Freude des Menschen beschlossen. Und jeglicher irdische Schmerz und jegliche irdische Träne soll uns eine Freude sein; und wenn du mit deinen Tränen die Erde unter dir einen halben Arschin tief getränkt hast, so wirst du sogleich über alles jubilieren, und nichts‹, sagt sie, ›rein gar nichts bleibt dann von deiner Trauer übrig, es gibt‹, sagt sie, ›so eine Prophezeiung.‹ Dieses Wort fiel damals tief in meine Seele, und wenn ich seitdem bete, wenn ich mich bis zur Erde verneige, küsse ich jedesmal die Erde, ich küsse sie und weine. Und ich will dir etwas sagen, Schatuschka: diese Tränen sind überhaupt nichts Schlimmes; auch wenn man keinen Kummer hat, fließen die Tränen trotzdem, aus lauter Freude. Die Tränen fließen von selbst, das ist wahr. Es kam vor, daß ich aus dem Kloster an den See ging, ans Ufer: Auf der einen Seite lag unser Kloster, auf der anderen – unser spitzer Berg, der wird auch so genannt: ›Spitzer Berg‹. Und ich steige diesen Berg hinauf, wende mich mit dem Gesicht gen Osten, falle auf die Erde und weine, weine und weiß nicht mehr, wie lange ich weine, und weiß dann nichts mehr und denke dann nichts mehr. Und dann stehe ich auf und schaue zurück. Und die Sonne geht unter und ist so groß und voller Pracht und herrlich – schaust du gern die Sonne an, Schatuschka? Es ist schön, aber traurig. Dann wende ich mich wieder um, gen Osten, und der Schatten, der Schatten von unserem Berg, zieht sich weit über den See, wird ein Pfeil, schmal, lang, sehr lang, länger als eine Werst, genau bis zu der Insel im See, und schneidet diese felsige Insel genau in zwei Hälften, und wenn er sie in zwei Hälften geschnitten hat, dann geht die Sonne vollends unter, und alles ist plötzlich erloschen. Und da versinke ich vollends in Trauer, da kehrt plötzlich die Erinnerung zurück, und ich fürchte mich vor dem Dunkel, Schatuschka. Und am meisten weine ich dann um mein Kindlein …«
    »War denn eins da?« Schatow, der die ganze Zeit außerordentlich aufmerksam zugehört hatte, stieß mich mit dem Ellbogen an.
    »Gewiß doch: ein kleines, rosiges, mit so winzigen Nägelchen, und es schmerzt mich nur, daß ich nicht mehr weiß, war es ein Knabe oder ein Mädchen. Bald erinnere ich mich an einen Knaben, bald an ein Mädchen. Und als ich damals mit ihm niederkam, wickelte ich es sogleich in Batist und in Spitzen, umwand es mit rosa Schleifchen, streute Blumen darüber, schmückte es, sprach ein Gebet und trug es, das Ungetaufte, fort, und so trage ich es durch den Wald, fürchte mich im Wald, und mir graust’s, und am meisten weine ich darüber, daß ich es geboren habe, aber einen Mann kenne ich nicht.«
    »Vielleicht war doch eins da?« fragte Schatow behutsam.
    »Ich finde dich komisch, Schatuschka, wie du so denkst. Vielleicht war eins da, aber was tut das schon, daß eins da war, wenn es so gut wie nicht da war? Da hast du ein unschweres Rätsel, rat einmal!« sagte sie lächelnd.
    »Wohin hast du das

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