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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Länge nach hin.«
    Eine Geschichte ließ sich jedoch nicht vermeiden.
    VI
    SCHATOW stand an der abgeschlossenen Tür und horchte ins Treppenhaus; plötzlich sprang er mit einem Satz zurück.
    »Er kommt hierher, wußte ich’s doch!« flüsterte er wütend. »Jetzt wird man ihn bis Mitternacht nicht mehr los.«
    Man hörte einige kräftige Faustschläge gegen die Tür.
    »Schatow, Schatow, mach auf!« brüllte der Hauptmann. »Schatow, mein Freund! …
    Grüßend will ich dir erzählen,
    Daß die Sonne aufgestanden,
    Daß des heißen Lichtes Wellen
    Auf … dem Grün der Wälder … pr-r-r-angen.
    Will erzählen, geh zum Teufel, …
    Daß ich wach bin unter … Zweigen …
    Genau wie unter Spießruten, ha-ha!
    Jedes Vöglein … wünscht sich Durst.
    Will erzählen, daß ich trinke,
    Trinken werde … was ich trinke, weiß ich nicht.
    Ist ja auch egal, zum Teufel mit der blöden Neugier! Kapierst du, Schatow, wie schön das Leben ist!?«
    »Nicht antworten!« flüsterte Schatow mir wieder zu.
    »Aufmachen! Kapierst du, daß es etwas Höheres gibt als Schlägereien … unter der Menschheit; ein ed-ler Mensch kennt Augenblicke … Schatow, ich bin ein guter Mensch, ich vergebe dir … Zum Teufel mit den Proklamationen, nicht wahr, Schatow?«
    Schweigen.
    »Kapierst du auch, du Esel, daß ich verliebt bin, daß ich mir einen Frack gekauft habe, sieh ihn dir an, einen Frack der Liebe, fünfzehn Rubelchen! Die Liebe eines Hauptmanns kommt ohne gesellschaftlichen Anstand nicht aus … Aufmachen!« brüllte er plötzlich wie rasend und trommelte wieder aus aller Kraft mit den Fäusten gegen die Tür.
    »Scher dich zum Teufel!« brüllte plötzlich auch Schatow.
    »Du-u Knecht! Leibeigener Knecht! Und deine Schwester ist eine Magd und Sklavin und eine … Diebin!«
    »Und du hast deine Schwester verkauft.«
    »Quatsch! Ich muß grundlose Verleumdungen erdulden, obwohl ich mit einer einzigen Erklärung … kapierst du denn nicht, wer sie ist?«
    »Wer denn?« Vor lauter Neugier trat Schatow plötzlich wieder dicht an die Tür.
    »Kapierst du denn das nicht?«
    »Ich werde es schon kapieren, du brauchst mir nur zu sagen, wer sie ist?«
    »Ich getrau’ mich, es zu sagen! Ich getrau’ mich immer und alles vor aller Welt zu sagen!«
    »Na ja, das wirst du dich wohl kaum getrauen!« reizte ihn Schatow und nickte mir zu, damit ich genau hinhörte.
    »Ich getrau’ mich nicht?«
    »Ich meine, du getraust dich nicht.«
    »Ich getrau’ mich nicht?«
    »Dann sag es doch, wenn du den Stock deines Herrn nicht fürchtest … Du bist ein Feigling und kein Hauptmann!«
    »Ich … ich … sie … sie … ist …«, lallte der Hauptmann mit zitternder, erregter Stimme.
    »Nun?« Schatow hielt das Ohr an die Tür.
    Das Schweigen dauerte mindestens eine halbe Minute.
    »Schur-r-ke!« vernahm man schließlich hinter der Tür, worauf der Hauptmann schnell und geräuschvoll nach unten retirierte, schnaufend wie ein Samowar und von Stufe zu Stufe torkelnd.
    »Nein, der ist schlau, der wird sich auch im Rausch nicht verplappern«, sagte Schatow, indem er sich von der Tür abwandte.
    »Was soll das alles bedeuten?« fragte ich.
    Schatow winkte mit der Hand ab, schloß die Tür auf und horchte abermals ins Treppenhaus hinaus; er horchte lange und ging sogar vorsichtig einige Stufen hinunter. Schließlich kehrte er ins Zimmer zurück.
    »Man hört nichts, er hat sie nicht geschlagen; er muß gleich umgefallen und eingeschlafen sein. Es ist Zeit, daß Sie gehen.«
    »Hören Sie, Schatow, was soll ich jetzt aus all dem schließen?«
    »Ach, schließen Sie daraus, was Sie wollen!« antwortete er müde und widerwillig und ließ sich an seinem Schreibtisch nieder.
    Ich ging. Ein unwahrscheinlicher Gedanke setzte sich mehr und mehr in meinem Kopf fest. Voller Sorge dachte ich an den nächsten Tag …
    VII
    DIESER »nächste Tag«, das heißt eben jener Sonntag, an dem sich das Schicksal Stepan Trofimowitschs endgültig entscheiden sollte, ist einer der bedeutungsvollsten Tage meiner Chronik. Es war ein Tag der Überraschungen, ein Tag, an dem Altes gelöst und Neues geknüpft wurde, ein Tag schonungsloser Aufklärungen und noch heftigerer Verwirrungen. Vormittags sollte ich, wie dem Leser bereits bekannt, meinen Freund zu Warwara Petrowna begleiten, auf ihren eigenen ausdrücklichen Wunsch hin, und um drei Uhr nachmittags mich bei Lisaweta Nikolajewna einfinden, um ihr zu berichten – ich wußte selbst nicht, wovon, und um ihr

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