Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
behilflich zu sein – ich wußte selbst nicht, wobei. Indessen endete alles mit einer Lösung, die keiner vermutet hätte. Mit einem Wort, es war ein Tag, an dem die Zufälle auf das erstaunlichste zusammentrafen.
Es begann damit, daß Stepan Trofimowitsch und ich, als wir Punkt zwölf, wie Warwara Petrowna gewünscht hatte, bei ihr erschienen, sie nicht zu Hause antrafen; sie war noch nicht vom Gottesdienst zurück. Mein armer Freund war so gestimmt oder, richtiger gesagt, so verstimmt, daß ihn dieser Umstand sogleich erschütterte: Entkräftet sank er im Salon in einen Sessel. Ich bot ihm ein Glas Wasser an; er wies jedoch, ungeachtet seiner Blässe und sogar seiner zitternden Hände, das Wasser würdevoll zurück. Seine Erscheinung zeichnete sich übrigens diesmal durch außerordentliche Eleganz aus: bestickte Batistwäsche, fein genug für einen Ball, weiße Halsbinde, in der Hand ein neuer Hut, neue strohfarbene Handschuhe und sogar ein Hauch von Parfum. Kaum hatten wir Platz genommen, als Schatow eintrat, in Begleitung des Kammerdieners, auf offizielle Einladung hin, das war klar. Stepan Trofimowitsch erhob sich leicht, um ihm die Hand zu reichen. Aber Schatow musterte uns beide aufmerksam, drehte sich um, ging in eine Ecke, setzte sich dort und würdigte uns nicht einmal eines Kopfnickens. Stepan Trofimowitsch warf mir wieder einen erschrockenen Blick zu.
Auf diese Weise verbrachten wir noch einige weitere Minuten in tiefem Schweigen. Stepan Trofimowitsch begann plötzlich, mir irgend etwas sehr hastig zuzuflüstern, aber ich konnte nichts verstehen; auch brach er selbst vor lauter Aufregung ab und verstummte. Der Kammerdiener erschien noch einmal und rückte etwas auf dem Tisch zurecht, vermutlich nur, um nach uns zu sehen.
Plötzlich wandte sich Schatow an ihn mit der lauten Frage:
»Alexej Jegorowitsch, wissen Sie, ob Darja Pawlowna mit ihr ausgefahren ist?«
»Warwara Petrowna beliebten allein in die Kirche zu fahren, und Darja Pawlowna beliebten oben, bei sich, zu bleiben und fühlen sich nicht ganz wohl«, meldete Alexej Jegorowitsch belehrend und förmlich.
Mein armer Freund warf mir abermals einen raschen und beunruhigten Blick zu, so daß ich mich schließlich veranlaßt fühlte, mich von ihm abzuwenden. Plötzlich donnerte auf der Auffahrt vor dem Haus eine Equipage, und eine entfernte Unruhe im Haus kündigte uns an, daß die Hausherrin zurückgekehrt war. Wir alle fuhren aus unsern Fauteuils hoch, aber die nächste Überraschung: Man hörte das Geräusch vieler Schritte, und das bedeutete, daß die Hausherrin nicht allein zurückgekehrt war, was uns einigermaßen befremden mußte, da sie uns doch selbst auf diese Stunde bestellt hatte. Man hörte endlich, daß sich jemand geradezu ungehörig schnell, beinahe im Laufschritt, näherte, wie Warwara Petrowna es niemals zu tun pflegte. Und plötzlich stürzte sie buchstäblich ins Zimmer, außer Atem und in größter Erregung. Ihr folgte, in einigem Abstand und wesentlich langsamer, Lisaweta Nikolajewna und an Lisaweta Nikolajewnas Hand – Marja Timofejewna Lebjadkina! Auch wenn ich es im Traum gesehen hätte – ich hätte es nicht für möglich gehalten.
Um diese gänzliche Überraschung zu erklären, muß ich eine Stunde zurückgreifen und ausführlicher das ungewöhnliche Abenteuer schildern, das Warwara Petrowna in der Kirche zugestoßen war.
Erstens, zum Gottesdienst hatte sich fast die ganze Stadt, das heißt die höchsten Kreise unserer Gesellschaft, eingefunden.
Man wußte, daß die Gattin des Gouverneurs zum Gottesdienst erscheinen würde, zum ersten Mal nach ihrer Ankunft bei uns. An dieser Stelle sei angemerkt, daß bei uns bereits das Gerücht umlief, sie sei eine Freidenkerin und halte sich an die »neuen Regeln«. Den Damen war ebenfalls bekannt, daß sie großartig und mit nie gesehener Eleganz gekleidet sein würde; daher zeichneten sich die Toiletten unserer Damen durch erlesenen Geschmack und große Pracht aus. Warwara Petrowna als einzige war unauffällig und, wie immer, ganz in Schwarz erschienen; so kleidete sie sich gleichbleibend seit vier Jahren. Nachdem sie die Kirche betreten hatte, nahm sie ihren gewohnten Platz ein, links, in der ersten Reihe, und der livrierte Lakai legte das Samtkissen zum Niederknien vor sie hin, mit einem Wort, alles war wie gewohnt. Aber es blieb auch nicht unbemerkt, daß sie dieses Mal während des ganzen Gottesdienstes ganz besonders andächtig betete; später, als man sich alles
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