Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Wsewolodowitsch sie mit freundlicher und melodischer Stimme an, und in seinen Augen leuchtete eine ungewöhnliche Zärtlichkeit auf. Er stand vor ihr in der ehrerbietigsten Haltung, und jede seiner Bewegungen drückte aufrichtigste Achtung aus. Halblaut, hastig, atemlos lallte die Ärmste:
»Darf ich denn … gleich … vor Ihnen niederknien?«
»Nein, das dürfen Sie auf keinen Fall.« Er lächelte ihr so strahlend zu, daß sie plötzlich vor Freude zurücklächelte. Mit derselben melodischen Stimme redete er ihr zärtlich wie einem Kind zu, bis er gemessen schloß:
»Denken Sie daran, daß Sie ein Fräulein sind, und ich bin zwar Ihr ergebenster Freund, aber dennoch ein Ihnen fremder Mensch, weder Ihr Gatte noch Ihr Vater noch Ihr Bräutigam. Reichen Sie mir also Ihren Arm, und lassen Sie uns gehen; ich begleite Sie bis zur Equipage und werde Sie, falls Sie es erlauben, persönlich nach Hause bringen.«
Sie hörte ihn an und neigte, als ob sie überlegte, den Kopf. »Lassen Sie uns gehen«, sagte sie und reichte ihm seufzend die Hand.
Aber da stieß ihr ein kleines Mißgeschick zu. Wahrscheinlich hatte sie sich irgendwie ungeschickt bewegt und war mit ihrem kranken, zu kurzen Bein aufgetreten – jedenfalls fiel sie seitwärts auf einen Fauteuil und wäre, wenn dieser Fauteuil nicht dagestanden hätte, zu Boden gestürzt. Er hob sie blitzschnell auf, stützte sie, faßte sie fest unter den Arm und führte sie behutsam und vorsichtig zur Tür. Sie war über ihren Sturz sichtlich betrübt, wurde verlegen, errötete und genierte sich entsetzlich. Mit niedergeschlagenen Augen, besonders stark hinkend, humpelte sie hinter ihm, wobei sie beinahe an seinem Arm hing. So gingen sie hinaus. Während sie hinausgingen, sprang Lisa, ich sah es, aus irgendeinem Grund plötzlich aus ihrem Sessel auf und sah ihnen mit unbewegtem Blick bis an die Tür nach. Darauf setzte sie sich schweigend wieder hin, aber ein krampfhaftes Zucken lief über ihr Gesicht, als hätte sie ein Reptil berührt.
Während dieser ganzen Szene zwischen Nikolaj Wsewolodowitsch und Marja Timofejewna hatten alle bestürzt geschwiegen; man hätte eine Fliege summen hören können; kaum aber waren sie hinausgegangen, begannen plötzlich alle zu reden.
VI
MAN redete übrigens kaum, man rief vielmehr durcheinander. Ich weiß heute nicht mehr genau, was und wie es damals der Reihe nach vorgegangen ist, denn es entstand eine große Verwirrung. Stepan Trofimowitsch rief etwas auf französisch und schlug die Hände zusammen, aber Warwara Petrowna hatte kein Auge für ihn. Sogar Mawrikij Nikolajewitsch murmelte irgend etwas kurz und abgehackt. Am meisten aber ereiferte sich Pjotr Stepanowitsch; er redete wie toll auf Warwara Petrowna ein, mit weitausholenden Gesten, aber ich konnte lange nichts verstehen. Er wandte sich auch an Praskowja Iwanowna und an Lisaweta Nikolajewna, er rief sogar im Eifer des Gefechts seinem Vater etwas zu – mit einem Wort, er wirbelte ununterbrochen durchs Zimmer. Warwara Petrowna, rot vor Aufregung, sprang von ihrem Sessel auf und rief Praskowja Iwanowna zu: »Hast du gehört, hast du gehört, was er ihr eben gesagt hat!« Diese aber war nicht imstande, überhaupt zu antworten. Sie murmelte etwas und winkte ab. Die Ärmste hatte ihre eigenen Sorgen: Sie sah sich jeden Augenblick nach Lisa um und starrte sie voll unbestimmter Angst an, traute sich aber nicht, an Aufstehen und Heimfahren auch nur zu denken, jedenfalls nicht, solange ihre Tochter nicht aufbrechen wollte. Indessen versuchte der Hauptmann, ich habe es gesehen, sich unbemerkt aus dem Staub zu machen. Seit dem Augenblick, da Nikolaj Wsewolodowitsch erschienen war, sah man ihm unverkennbaren und heftigen Schrecken an; aber Pjotr Stepanowitsch packte ihn am Arm und hielt ihn fest.
»Es ist notwendig, es ist notwendig!« rieselten wieder die Glasperlen, während er unablässig auf Warwara Petrowna einredete. Er stand vor ihr, sie saß wieder in ihrem Sessel und hörte ihm, ich weiß es noch, gierig zu; er hatte es also erreicht, ihre Aufmerksamkeit zu fesseln.
»Es ist notwendig. Sie sehen es doch selbst, Warwara Petrowna, das ist ein Mißverständnis, etwas auf den ersten Blick sehr Absonderliches, dabei ist die Angelegenheit klar wie eine Kerze und simpel wie ein Finger. Ich weiß nur zu gut, daß niemand mich ermächtigt hat zu erzählen und daß ich mich vielleicht lächerlich mache, wenn ich mich aufdränge. Aber erstens mißt Nikolaj Wsewolodowitsch persönlich
Weitere Kostenlose Bücher