Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
zuwenden, aber Warwara Petrowna hinderte ihn daran; sie war in höchster Erregung.
»Sind Sie fertig?« fragte sie.
»Noch nicht; der Vollständigkeit halber müßte ich, mit Ihrer Erlaubnis, diesem Herrn einige Fragen stellen … Sie werden sogleich sehen, worum es geht, Warwara Petrowna.«
»Genug, später, einen Augenblick Geduld, ich bitte Sie. O wie richtig habe ich gehandelt, daß ich Sie sprechen ließ!«
»Und Sie verstehen, Warwara Petrowna«, Pjotr Stepanowitsch belebte sich von neuem, »wie hätte Nikolaj Wsewolodowitsch Ihnen vorhin das alles erklären können, als Antwort auf Ihre Frage – eine vielleicht allzu kategorische?«
»O ja, zu kategorisch!«
»Und hatte ich nicht recht, als ich sagte, daß in manchen Fällen ein Dritter viel leichter etwas erklären kann als der Beteiligte selbst?«
»Doch, doch … Aber in einem Punkt haben Sie geirrt, ja, und irren, wie ich mit Bedauern feststelle, immer noch.«
»Wirklich? In welchem denn?«
»Sehen Sie … Sie sollten übrigens Platz nehmen, Pjotr Stepanowitsch.«
»Oh, ganz wie Sie wünschen, ich bin tatsächlich etwas müde, vielen Dank.«
Er hatte im Handumdrehen einen Sessel zurechtgerückt und ihn so plaziert, daß er Warwara Petrowna auf der einen Seite, Praskowja Iwanowna am Tisch auf der anderen und Herrn Lebjadkin, den er keinen Augenblick aus den Augen ließ, vor sich hatte.
»Sie irren, wenn Sie das ›wunderlich‹ nennen …«
»Oh, wenn es nur das ist …«
»Nein, nein, warten Sie!« unterbrach ihn Warwara Petrowna, die sich offenbar darauf vorbereitete, lange und mit Genuß zu reden. Sobald Pjotr Stepanowitsch das bemerkte, war er ganz Ohr.
»Nein, das war mehr als wunderlich, und ich versichere Ihnen, das war sogar etwas Heiliges! Ein Mann, stolz und früh verletzt, der zu jener ›Ironie‹ gekommen ist, wie Sie so treffend geschildert haben, kurz – das war ›Prinz Harry‹, nach dem großartigen früheren Vergleich von Stepan Trofimowitsch, der völlig richtig wäre, wenn er nicht, wenigstens meiner Meinung nach, eine noch größere Ähnlichkeit mit Hamlet hätte.«
» Et vous avez raison «, bestätigte Stepan Trofimowitsch nachdrücklich und mit Gefühl.
»Ich danke Ihnen, Stepan Trofimowitsch, ich danke Ihnen, und zwar ganz besonders für Ihren unerschütterlichen Glauben an Nicolas, an die Erhabenheit seiner Seele und an seine Berufung. In diesem Glauben haben Sie sogar mich bestärkt, wenn ich kleinmütig wurde.«
»Chère, chère …«, Stepan Trofimowitsch trat schon einen Schritt vor, hielt aber doch inne, als ihm einfiel, wie gefährlich es sei, sie zu unterbrechen.
»Und wenn an Nicolas’ Seite immer« (nun klang ihre Rede schon fast wie eine Arie) »ein stiller, in seiner Demut großer Horatio gestanden hätte – wiederum ein wundervoller Ausdruck von Ihnen, Stepan Trofimowitsch –, dann wäre er vielleicht schon längst von dem melancholischen und ›jähen Dämon der Ironie‹ erlöst, der ihn sein ganzes Leben lang quälte. (Dieser Dämon der Ironie ist ebenfalls ein wundervoller Ausdruck von Ihnen, Stepan Trofimowitsch.) Aber an Nicolas’ Seite stand nie ein Horatio oder eine Ophelia. Er hatte nur seine Mutter, aber was kann eine Mutter, allein und unter solchen Umständen, schon bewirken? Wissen Sie, Pjotr Stepanowitsch, jetzt leuchtet es mir sogar völlig ein, daß ein solches Wesen wie Nicolas sich sogar in solchen schmutzigen Schlupfwinkeln, von denen Sie berichtet haben, aufhalten konnte. Jetzt kann ich mir so deutlich dieses ›ironische Leben‹ vorstellen (ein erstaunlich treffender Ausdruck von Ihnen!), diesen unstillbaren Durst nach Kontrast, diesen düsteren Hintergrund, vor dem er wie ein Brillant erscheint, wenn ich Ihren Vergleich, Pjotr Stepanowitsch, aufgreifen darf. Und da trifft er nun auf ein von aller Welt beleidigtes Geschöpf, einen Krüppel, eine Halbverrückte, die vielleicht von den edelsten Gefühlen beseelt ist!«
»Hm, gut, nehmen wir es an.«
»Und dann wollen Sie nicht verstehen, daß er sich nicht über sie lustig macht wie die anderen! O ihr Menschen! Sie wollen nicht verstehen, daß er sie vor ihren Beleidigern in Schutz nimmt, daß er ihr mit Achtung begegnet ›wie einer Marquise‹ (dieser Kirillow muß eine ungemein tiefe Menschenkenntnis haben, obwohl auch er Nicolas nicht verstanden hat!). Wenn man so will, war es gerade dieser Kontrast, der zu dem Unheil geführt hat; wären die Umstände andere gewesen, so hätte die Unglückliche sich
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